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Feiern

Wann wird goldene Farbe in Gemälden auch begrifflich als „Gold“ erfasst? Gehört dazu eine Vorstellung von Wert und Glanz? Wann sehen Betrachter in Bildern von Feiernden auch deren „Gemeinschaft“? Gehört hierzu eine Vorstellung des Zusammenseins, eine bestimmte Qualität? Methoden kollaborativen Indexierens von Bildern gewähren Hinweise auf gewisse Gewichtungen. Hier folgt nun ein kleiner Auszug zur Ikonographie des Feierns, des Geburtstagsfeierns, kombiniert mit Methoden der Datenanalyse von mittels Crowdsourcing erhobenen Bildannotationen.

 

Feiern kann man so oder so.
Farbformal ausgedrückt: „schwarz, rot, gelb“ oder „golden“ – und sozial: „den“ Menschen oder „die“ Menschen, ihre „Gemeinschaft“ in den Vordergrund stellend.
Die Bildkünste haben sich an der Darstellung des Geburtstagsfeierns beteiligt. Hier nur zwei Beispiele – sie weisen einen weiten Bogen von der naturalistischen Herrscherapotheose im 19. Jahrhundert in England hin zur Selbststilisierung des Künstleringeniums im frühen 20. Jahrhundert in Bayern.

Das Feiern / die Feier seines eigenen Geburtstags malte Franz Stuck im Jahr 1913 auf eine Weise (Abb. 1), die subtil den Heros des Gefeierten ins Zentrum der Disposition rückt. Einzeln thront dieser auf dem Balkon, nahezu in der Mitte des Bildquadrats als dunkle Figur erscheinend, auratisch von Licht umfangen. Die Kluft zwischen Gefeiertem und Feiernden bestimmt das Bild.

 

Der „Mensch“ – die Daten der digitalen Anwendung zur Bildannotation Artigo („Mensch“ als Annotation zum Gemälde Stucks) weisen hierauf – der Einzelne auf dem Balkon, bestimmt motivisch die Szene. Eine Masse an Feiernden ist zu sehen, deren „Gemeinschaft“ wird begrifflich von den Bildbetrachtern nicht erfasst. „Schwarz“, „rot“ und „gelb“ vergeben die einzelnen Tagger als Annotationen für das Gemälde, der Glanz der goldenen Farbe rückt kaum ins Augenmerk, bleibt begrifflich unerfasst.

Dem Feiern bei „Richmond Hill, am Geburtstag des Prinzen“ (Abb. 2) widmete sich malend William Turner etwa 100 Jahre zuvor. Der Künstler zeigt den Gefeierten und die Feiernden als einheitliche Menge, ja diese sind optisch gerade nicht zu scheiden. Wählte Stuck das Prinzip der pyramidalen Disposition, das den Gefeierten von der feiernden Menge abhebt und trennt, so zeigt Turner das Feiern in Gemeinschaft, das sich bildkantenparallel horizontal in die Wärme der Landschaft fügt.

 

Die „Menschen“ sind es hier, nicht der einzelne „Mensch“, die thematisch das Bild bestimmen. Die Artigo-Daten erfassen für dieses Gemälde begrifflich die Menschen im Plural und immer wieder auch: die „Gesellschaft“, „Zusammenkunft“, „Gruppe“, „Begegnung“, das „Zusammen“. Die Härte, Dominanz und Klarheit der Farben „schwarz“, „rot“, „gelb“ fehlt nun, gemäß Tagging-Verhalten. Farblich aber legt sich glänzend über das Glück der Feiernden an diesem Tag das – immer wieder laut Tagging-Verhalten auch begrifflich erfasste – Gold.

 

Weitere binäre Oppositionspaare (neben „Mensch / ¬ Mensch“, „¬ Menschen / Menschen“, „¬ Gemeinschaft / Gemeinschaft“, „schwarz, rot, gelb / ¬ schwarz, rot, gelb“, „¬ gold / gold“) lassen sich nach der Analyse der Artigo-Daten und ihrer hermeneutischen Auslegung in Bezug auf das vorgestellte Bildpaar formulieren:
die Nacht dem Tag, den Effekt des speziellen, herausgehobenen Augenblicks, die Künstlichkeit, das Konstruierte der Situation, das Geometrische auf der einen Seite der Natürlichkeit, dem Organischen auf der anderen Seite entgegenstellen, dem Kontrastiven wiederum den (auch farblichen) Gleichklang und die Harmonie der Menschen mit dem Lauf der Welt und dem Fluß des Lebens. Bei Stuck koinzidiert einzig der Mensch mit dem Licht und dem Feuer, entgegen der kalten, geistlosen Nacht der unbelebten Natur, als Triumph des Geistes – bei Turner fügen sich die Menschen mit dem All der Natur im Gleichklang zusammen.

 

Kunsthistorisch und ideengeschichtlich unterschiedliche Weisen, die Feierlichkeit des Geburtstages zu erfassen, münden in farbformal und bildkompositorisch kontroverse Schemata und Muster. Grelle Farben, zentralistische Pyramidaldisposition und akkurate Symmetrie versus warmes Gold und die Horizontale, das organisch Angelegte. Diese farbformalen und bildkompositorischen Schemata und Muster sind durch die digital gestützte Kunstgeschichte messbar und mathematisch zu artikulieren. Dies ermöglicht neue Herangehensweisen an, auch automatisierte und massenhafte, Bildvergleiche.

 

Den eingangs formulierten Fragen konnten wir durch die Anschauung der Abbildungen und die Analyse der Annotationsdaten eine Spur näher rücken:
„Gemeinschaft“ als Gruppe wird begrifflich eher erfasst, wenn das Gruppengesamt im Bild ersichtlich werden kann, d.h. auch das Ende, die Grenzen der Gruppe durch das Auge erfassbar werden (Turner). Eine Gemeinschaft als Form tritt hervor.
Als pure Menschenmasse, die sich ohne Rhythmik und Definition durch das Bildgesamt endlos zeigt (Stuck), wird das eigentliche „Zusammen“ und „Beieinander“ der Menschen weniger ersichtlich und augenscheinlich. Das Zusammensein kann vom Betrachter nicht überblickt, über den Sehsinn nicht eingeordnet und begrifflich nicht erfasst werden (Bilder von Menschenmassen bei Demonstrationen beispielsweise würden wohl auch eher nicht mit „Gemeinschaft“ annotiert, wohl aber die Abbildung einer vereinzelten, definierten Gruppe von Demonstranten).

 

Für die Goldfrage: Der Glanz und Schein des Goldenen wird in Turners Gemälde begrifflich fassbar (vgl. Analyse der Annotationsdaten). Die vereinzelten goldenen Reflexe in Stucks Bild hingegen werden möglicherweise aufgrund der insgesamt reduzierten Palette des Gemäldes mit „Gelb“ beschrieben: Schwarz, Rot, Gelb, basta – einfach ausgedrückt. Dies kann hier freilich nur gemutmaßt werden.

 

Die kontradiktorischen Assoziationen, die durch die beiden Gemälde von Geburtstagsfeiern hervorgerufen werden, lassen sich schließlich wohl nicht besser auf den Begriff bringen, als es die Artigo-Spieler getan haben:
Einmal ist es die Feierlichkeit für einen Menschen – und einmal eine Feier der Menschen.


 

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