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Digitale Geschichtswissenschaft - da muss mehr drin sein...

Ich habe hier einige Kuriositäten aus dem "Expertenchat" zusammengestellt, den das L.I.S.A.-Portal (hervorragend organisiert!) am Montag zum Thema "Wikipedia trifft Geschichtswissenschaft – Geschichte im Netz" veranstaltet hat. Ich bin nicht sicher, inwieweit der Chat dort noch öffentlich zugänglich gemacht wird für alle, die nicht live dabei sein konnten. Als Experten wurden Prof. Uwe Walter (Universität Bielefeld) und Marcus Cyron (Wikipedia) durch einen Moderator und das Chatpublikum befragt.

 

Uwe Walter schreibt - gefragt nach den Potentialen von Kommentarfunktionen, Blogs u.ä. für den Historiker: "(...) im übrigen ist eine Kommentarfunktion oder sind bestimmte Kommunikationsformen jedenfalls in meiner Wahrnehmung vielfach auch mit enthemmten und gänzlich indiskutablen Meinungsejakulationen verbunden und damit möchte man doch nichts zu tun haben."

 

Gefragt nach der Definition von "wissenschaftlicher Kommunikation im Netz" schreibt er:

"Mir fallen, ehrlich gesagt, nur sehr wenige Beispiele für wissenschaftliche Kommunikation im Netz ein. Jedenfalls in meinem Bereich. Das sind dann etwa Pre-Papers für eine Tagung die vorab kursieren und auch kommentiert werden können; aber das wars dann auch schon fast."

 

Aus dem Chat lässt sich das lehrreiche Fazit ziehen, dass in der deutschen Geschichtswissenschaft

 

1. das Wissen um bestehende seriöse, qualitätsgesicherte Umgebungen zur Wissenschaftskommunikation im Netz gering, wenn nicht partiell gar nicht existent ist;

 

2. selbst wenn es vorhanden wäre, die Potentiale von blogartig oder gemeinschaftlich prozessual entwickelten Forschungskonzepten v.a. im konservativen Flügel des Fachs äußerst gering eingeschätzt werden,

 

3. alle damit zusammenhängenden Vorurteile äußerst tief sitzen.

 

Wie weit hinken wir doch in diesen Dingen Frankreich hinterher! Seine Wissenswerkstatt in frühen Stadien Kollegen und der Öffentlichkeit zu öffnen, ein solches Umdenken ist dort viel weiter! www.homo-numericus.net/spip.php

Bei uns wird weiter uneingeschränkt am Wert des im stillen Kämmerlein erarbeiteten "großen Wurfs" festgehalten, am Überraschungseffekt des vermeintlich Abgeschlossenen.

Uwe Walter sagt im Interview dazu: "Was fehlt, was Güter in großer Knappheit sind: Zeit, Muße, Entschleunigung, Freiräume, für sich einen komplizierten Gegenstand einmal ganz von Anfang an zu durchdenken und dies ohne die Pflicht permanent alle Arbeitsstadien, Geistesblitze, Tiefpunkte und Depressionen mit aller Welt teilen zu müssen. Denn am Ende zählt doch nicht das was hinten rauskommt aber doch schon irgendwie das Ergebnis und weniger die Befindlichkeit dessen der es produziert hat."

Man mag beim ersten Lesen zustimmen - Entschleunigung klingt gut... Und doch bleibt das Gefühl, dass die Wissenschaft den Anschluss an die Realität und an die ihr gestellten Ansprüche verlieren könnte, wenn all ihre Protagonisten so dächten und handelten. Es geht nicht darum, seine Depressionen zu teilen, durchaus aber könnte das Teilen von Geistesblitzen die Wissenschaft voranbringen!

 

Dem Thema Open Access war ein (!) Satz gewidmet. Dessen Impetus ist vor dem geschilderten Hintergrund unschwer zu erraten.

 

Bricht man die Grundaussage der Diskussion - und das nur leicht pointiert! - zusammen, reduziert sich ihr Zutrauen in Möglichkeiten des Social Web für die Wissenschaft auf das Überbringen von "Geburtstagsgrüßen" und das Erstellen unnützer Statusmeldungen zu persönlichen "Befindlichkeiten". Beide Begriffe wurden gebraucht.

 

 

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