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Krise der Kunstgeschichte

Eine nicht nur amerikanische Diskussion nach oben

Von einer Krise der Kunstgeschichte spricht man in Deutschland spätestens seit Hans Beltings vielfach aufgelegtem Buch "Das Ende der Kunstgeschichte" (1983). Die dort vorgenommene Reflexion einer wissenschaftlichen Praxis, die von alten, inzwischen obsolet gewordenen Weisen der Kunstproduktion angeregt sei, findet sich in den USA gleichsam auf eine konkretere Diskussion heruntergebrochen wieder. Im Jahr 2011 haben die "Visual Resources: An International Journal of Documentation" ein von Patricia Mainardi betreutes, auf eine Sektion auf dem amerikanischen Kunsthistorikertag zurückgehendes Sonderheft herausgebracht, in dem einige prominente Vertreter der amerikanischen Kunstgeschichte Indizien für diese Krise gesammelt haben. Im wesentlichen lassen sich immer wieder zwei Motive hier benennen:

1) Im Zuge des Durchbruchs einer "art history of the contemporary", die inzwischen dazu neige, das Feld ausschließlich zu bestimmen, habe sich eine Arbeitsweise etabliert, die mit der klassisch historischen nicht mehr wirklich kompatibel sei. Pepe Karmel, immerhin ein ausgewiesener Kunstkritiker zeitgenössischer Kunst, bedauert dies ausdrücklich. Nicht nur hält er die Argumentation, zeitgenössische Kunst sei etwas völlig anderes als ältere, für irreführend, im Kontext einer breiten, vor allem auch vom Kunsthandel angetriebenen Verschiebung des Interesses von älterer zu zeitgenössischer Kunst sieht er hier die Gefahr, dass eine völlige Konzentration auf Gegenwärtigkeit eintrete - und damit eine Entwicklung, die historisches Fragen ganz entwerte. (320) Einher damit geht eine Fokussierung der Studierenden auf das Zeitgenössische, das Wolfgang Kemp an anderer Stelle auch schon einmal festgestellt hatte (Merkur, H. 752, Januar 2011, S. 59) Karmel sieht keinen Ausweg darin, Studierende auf historisch-einordnende Fragestellungen im Angesicht zeitgenössischer Kunst zu verpflichten. (325) Dabei dürfte dies der einzige Weg sein, eine Methodologie zu "retten", die sich an anderer Stelle bewährt hat. Denn die Alternative ist häufig eine distanzlose, im Rahmen des kunstkritischen Diskurses aber durchaus angemessene Rede. (Ich erlaube mir hier den Verweis auf diesen Text.

2) Das Digitale und hier insbesondere das Internet habe sich mit großer Macht durchgesetzt und auch die Kunstgeschichte verändert. Patricia Rubin spricht von einem Studierendentypus , den sie etwas verächtlich als "homo zappiens" bezeichnet (311). Stephen Murray, an der New Yorker Columbia University sehr aktiv in der Digitalisierung der Lehrmittel engagiert, bemängelt, dass man sich wenig um die Erneuerung der Lehre im Zeichen des Digitalen bemühe und statt dessen Power Point genauso benütze wie früher Diapositive. (316) Nichtsdestoweniger glaubt er, dass das Digitale "has the potential to continue  to animate and energize our intellectual and pedagogical missions." (317)

Maxwell Anderson (jetzt Direktor des Dallas Museum of Art) nennt mit Blick auf die Krise der Kunstgeschichte 10 Probleme und liefert Lösungsansätze gleich mit - sein Beitrag vermag am meisten zu beeindrucken. Eines der Probleme ist die Verschiebung der öffentlichen Aufmerksamkeit ganz hin auf die sogenannten STM Fächer, was angesichts der wirtschaftlichen Krise der USA und ihres drohenden Rückfalls gegenüber einstigen Entwicklungsländern wie China nicht verwundern sollte, aber trotzdem auch in seinen Augen kurzsichtig ist. Auch die von ihm genannte Konzentration auf westliche Kunst angesichts eines immer größeren nicht-westlichen Bevölkerungsanteils dürfte über kurz oder lang in Europa problematisch werden - wenn sie es nicht schon ist. (337) Die vom französischen (Post-)Stukturalismus eingeleitete Theorielastigkeit des Faches habe eine Objektorientierung entwertet, die das Fach einmal durch und durch bestimmt habe. (337) Auch bei Anderson spielt das Digitale eine zwiespältige Rolle, indem es einerseits die Informationsmöglichkeiten fast ins Unendliche erweitert habe, andererseits nicht über riesige Wissenslücken im Grundständigen vor allem bei den Jüngeren hinwegtäuschen könne - wenn nicht diese sogar mitbewirkt habe (338) Andererseits hat er sehr avancierte Vorstellungen über tiefergehende methodische Transformationen, die vom Digitalen angeregt werden. Ganz erstaunlich ist seine - immerhin schon 2011 getätigte - Feststellung, dass im weitesten Sinne crowdgesourcte Infomationsgenerierung (man denke hier nur an die wikipedia) den Experten als "gatekeeper" tendenziell relativiere. (338) Kollaborative Arbeitsweisen seien im Aufwind, das akademische "reward system" habe das aber noch nicht zur Kenntnis genommen. (339) Überhaupt wird man festhalten dürfen, dass in dem Band über die "crisis in art history" insgesamt erstaunlich weitsichtigeAnalysen geliefert werden, dass davon in die adademische Praxis aber bislang wenig eingegangen ist. Auch nicht in den USA.

Und die Lösungsansätze. (340f.) Auch hier nur eine Auswahl. Für den Museumsbereich, in dem Anderson schließlich selber tätig ist - manches wäre sicherlich auf andere Felder übertragbar - empfiehlt er die ausdrückliche Ermutigung von Afro-Americans, diesen Karriereweg zu beschreiten. Für ihn ist darüber hinaus unverzichtbar, ethische Überlegungen in Sammlungspolitiken mit einzubeziehen - auch hier dürfte die Übertragbarkeit auf Europa naheliegen. Nicht unumstritten wird seine Forderung sein, auf das stürmische Voranschreiten der STM-Fächer nicht etwa durch Abgrenzung zu reagieren, sondern durch stärkere Einbeziehung naturwissenschaftlicher Methoden. Hierhin gehört natürlich auch seine Favorisierung informatischer Herangehensweisen - mir natürlich ebenfalls sehr sympathisch. Unorthodox dürfte auch seine Forderung sein, den Kunsthistorikernachwuchs nicht immer nur auf ein karges materielles, dafür aber um so lohnenderes intellektuelles Leben einzustimmen, sondern ihm zu sagen, dass man auch eine Menge Geld verdienen kann, wenn man gut ist.Und dann natürlich die Hoffnung, dass zukünftig Team-basierte Arbeitsweisen die ihnen angemessene Anerkennung erhalten.

Insgesamt empfehle ich den schmalen Band auch nach drei Jahren noch zur Lektüre, weil doch einiges in ihm auch die europäische Diskussion um eine Krise der Kunstgeschichte anregen kann. Gibt es diese Diskussion hier überhaupt jenseits Belting und jenseits von Gesprächen in der Teeküche vielleicht doch nicht? Oder gibt es hier vielleicht gar keine Krise?

 

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