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Banksy - "Dis-is-ma-Land"

Im Gegensatz zu einigen zeitgenössischen Kunstausstellungen kann man auch als 10-jähriger in Dismaland ohne Langeweile vier Stunden verbringen. Es gibt hier zwar auch viel groß[formatig]e Kunst statt großer Kunst und viele gruselige Albernheiten, die wie „Die Simpsons“ kippbildartig gleichzeitig auf verschiedenen (Erfahrungs-)Ebenen fruchtbar sind. Neben uns steuert ein etwa 8-Jähriger überaus ernsthaft per Fernsteuerung und nach dem Einwurf einer 1-Pfund-Münze ein Modelboot voller handgeschnitzter Miniatur-Flüchtlinge, von denen einige schon mit dem Kopf nach unten im Meer, bzw. im Spielzeug-Becken treiben. Der Knabe rammt mal die Holz-Kadaver oder das Polizeiboot oder eins der anderen Flüchtlingsboote, das wir „fahren“ mit dem „seinen“. Per Zufallsschaltung ändert sich ständig, wen man steuert, mal ist man Polizeiboot, dann wieder Flüchtlingshelfer.

Auffällig bei dieser Schau war die Zusammensetzung der Besucher. Im Gegensatz zur üblichen Art Crowd halbgebildeter Westeuropäer mit akademischen Abschluss sieht und hört man – nur Engländer, insbesondere aus dem West County. Trotz unserer Online-Reservierung dauerte es etwa eine Stunde bis wir als akustisch wahrgenommen einzige Deutsche durch das geführte Labyrinth von Absperrungen getrottet waren. Eltern mit Kleinkindern gingen hinter Hipstern und vor richtig alten Leuten in unmodischen Gewändern. Die meisten wirkten so, wie wenn sie wenig Geld hätten und selten Kunstausstellungen ansehen würden, jedoch oft: Musikfestivals und Freizeitparks. Dem kam auch der extrem niedrige Eintrittspreis von drei bis 5 Pfund entgegen.

Die in Rosa Neon-Westen gekleideten Ausstellungs-Aufseher tragen trashige Mickey-Maus-Ohren, es gibt ein Disney-Schloss im Zentrum, worin sich Schneewittchens Kutsche befindet und eine Arielle-Brunnenfigur mit Bildstörung, kurz, Banksys Dismaland hat was von Disneyland. Wir haben es mit einer freizeitparkartigen Ausstellung zu tun, Banksys erster Show seit seinem Publikumserfolg „… vs. Bristol Museum“ 2009, der mit über 300.000 Besuchern als eine der 20 erfolgreichsten Ausstellungen des Jahres – weltweit – wurde.

Neben einem Freizeitpark erinnert Dismaland an einen Provinzjahrmarkt oder -Zirkus und an ein Festival – vom Burning Man Festival aus USA etwa brachte Banksy das überdimensionale Werk Big Rig Jig (2007) von Mike Ross mit, einen Turm aus zwei verschlungenen Trucks. Zugleich ist Dismaland eine Gruppenausstellung mit fast 60 internationalen Künstlern, darunter ein Palästinenser, der prompt gegen die Beteiligung von israelischen Künstlern in derselben Ausstellung lautstark protestierte und daraufhin (im Gegensatz zu seinen Werken) vom Gelände entfernt wurde.

Dismaland heißt zu Deutsch trübes, trostloses, düsteres Land und klingt auch wie Dis-[is]-my-land (das is mein Land). Wenn man „dismal“ als geologischen Fachterminus versteht bedeutet der Austellungstitel „Küstensumpf-Land“. Alle vier Bedeutungen verquickt Banksy in seiner vielseitigen, an Sinneseindrücken, Anspielungen und Verweisen fast überbordenden Schau.

Dis is Banksy’s Land

Banksy, der aus dem nahen Bristol stammt, mietet das längst geschlossene, heruntergekommene Spaßbad seiner Jugend, das Einheimischen noch unter dem reißerischen 1980ies-Namen Tropicana von 1984 bis 2000 bekannt war, eigentlich jedoch von Älteren als ehrwürdiges Art Deco Strandbad ab 1937 schlicht als The Pool betitelt wurde. Banksy lugte angeblich zum Jahresanfang 2015 durch die nach 15 Jahren Leerstand brüchig gewordene Vernagelung und sah sofort das Potenzial des Drecklochs. Das Triste, Düstere („dismal“) und Dreckige betonte Banksy durch ein generelles Besen-Verbot für alle seine vielfältigen Helfer, die aus dem „Küstensumpf“ („dismal“) das kurzzeitige Zentrum der weltweiten Gegenwartskunst machen. Küstensumpf kann man als abwertenden Synonym der heruntergekommen sea side town Weston Super Mare. Tropnicana/Dismaland ist direkt am Meer gelegen, im Zentrum stand und steht jeweils ein Wasserbecken, früher als Auffangbecken für Spaßrutscher beherbergt es bei Banksy ein ehemaliges gepanzertes Einsatzfahrzeug aus dem Nord-Irland-Konflikt, das nun ebenfalls eine leider nicht begehbare Kinderrutsche ins Becken aufweist. Im Wasser schwimmen nun verrostete Räder und (wie bei Banksy öfters) ein Einkaufswagen. Eine beliebte Foto-Gelegenheit ist auch Disneys Arielle als Riesenstatue im Becken, die auf den zweiten Blick wie eine Bildstörung oder Bildzerrung wirkt. Street Art ist für Banksy nicht mehr illegale Kunst, jedoch Kunst im öffentlichen Raum, die zumindest einen zweiten Blick erfordert, einfordert und oft den Betrachter sehr zeitgenössisch einlädt, ein Selfie zu machen. Ob man sich nun mit dem Killerwal, der aus einer Kloschüssel springt ablichtet oder auf eine Bank[sy] setzt, auf der Hitchcock-artig eine Frau von den im Seebad Weston allgegenwärtigen Möwen schwarmartig attackiert wird oder die in Banksy-Ausstellungen häufiger auftretenden Fotowänden mit Gesichtsloch als Taliban (nur Gesichtsschlitze), immer denkt Banksy den Betrachter im Bild mit und lädt ihn ein, Teil des Werkes zu werden, dazu eine Haltung (oder Pose) einzunehmen. Auf die Spitze betrieben ist dies beim Selfie-hole, wo neben dem Gesichtsloch noch ein Loch für die Selbstporträt-Hand angebracht ist. Street Art ist bei Banksy immer auch demokratisches Do-It-yourself, keine Mitmachkunst, sondern vielleicht "Auchmachkunst".

Wenn man als klassischer Kunstbetrachter an Banksys schrille, bunte, schreiende Ausstellung herantritt, erscheint vieles oberflächlich, was insbesondere daran liegt, dass der genannte klassische Kunstbetrachter heute das Objekt an und für sich schätzt sowie dessen Besitz und den Status des Kunstwerkes als Original, aus der die Wertanlage, der Religionsersatz folgt. Das können Banksys Werke nicht leisten. Das wollen sie auch zu keinem Zeitpunkt. Sie kritisieren vielmehr genau diesen Kunstbetrachter. Sie kritisieren das Prinzip „Kunst-Besitz“, das Prinzip „Kunst für reiche alte Sammler“, das Prinzip „Galerie-Kunst“ und „Museumskunst“, das nahezu ausschließlich ein Prinzip der Kunstmetropolen-Kunst ist. Banksy schafft es aufgrund seiner Popularität, die die eines Richters, Koons, Hirst und Warhols an Google und Facebook--hits weit in den Schatten stellt, für Wochen täglich 4000 Menschen in ein abgehalftertes Seebad im Nirgendwo zu locken. Diese Ausstellung nimmt man nicht mal so mit, wie eine Tate-Show beim London-Trip. Man muss sich bewusst entscheiden, sie zu besuchen. Zudem muss man sie als eine Gesamt-Performance betrachten, zu der die betont triste Laune der Parkaufseher mit ihren von Banksy vorgegebenen Zitaten („end joy“ statt „enjoy“, „There’s no space for you“, „have a dismal day“) wie jedes Detail von Banksys eigenen Werken gehört, die nur an diesem Ort und nur in diesem Kontext ihre volle Wirkung entfalten. Man kann sie nicht wie einen Hirst woanders hintragen und dort genauso genießen und verstehen wie anderswo. Man kann jedoch umgekehrt Hirst in Banksys Freizeitpark tragen, wo sein in Formaldehyd eingelegtes „Einhorn“ im Jahrmarkt-Kuriositätenkabinett-Zelt neben Tassen mit menschlichen Mündern und Fingern nicht weiter auffällt und auch nicht mit Hirsts Namen versehen werden musste. Auch Jenny Holzers Sprüche eignet  Banksy seinem Freizeitpark an: „I asked Jenny Holzer for one of her electronic signs, but she didn’t have anything in stock. She said she was happy to supply the text, but I’d have to find some signs. I asked a lighting guy to get a big LED screen and he came back with a system that cost £8000 a week to rent. I couldn’t afford that, so I suggested we record Jenny’s slogans and play them over the Tannoy system. She liked the idea and said she’d never done anything like it in forty years. So now we have a totally original Jenny Holzer that cost fuck all.” Nun kommen in festen Zeitintervallen die Sprüche der Gewinnerin der Biennale von Venedig 1990 blechern über Lautsprecher wie Ansagen zu falschgeparkten Autos, haben für den Moment die Aufmerksamkeit aller und - irritieren. Der Kunstmarktkünstler Hirst, der für viele unvorstellbar, mit Banksy mehrfach auf Leinwänden kooperierte, sammelt Banksy. Holzer beeinflusste insbesondere den frühen noch mehr am Wort hängenden Banksy spürbar.

Banksy wählte beide Künstler und über 50 weitere aus, die zu einem stark überwiegenden Großteil nicht dem zuzuordnen sind, was man als Street Art bezeichnet. Street Art ist in Banksys Worten “just as reassuringly white, middle class and lacking in women as any other art movement.” Statistiken über den Hintergrund der meisten Street Artists würden Banksy Recht geben.

Banksys Dismaland ist, wie Street Art, sehr site specific und kontextbezogen. Die von ihm ausgesuchten Künstler schufen extra Werke für Dismaland oder wurden von erfahrenen Kurator Banksy (man denke etwa an sein Cans Festival 2007) nach Werken gefragt, die er bereits kannte, weil sie zum Thema „düsterer Freizeitpark“ passen. Das Gesamtkunstwerk Dismaland (ich entschuldige mich für den viel bemühten Begriff) richtet sich an alle Sinne, alle erdenklichen Medien (inklusive einem abwechslungsreichen und sehenswerten Kurzfilmprogramm, das unter vielen anderen auch ein Video des Meisters selbst zeigt, das nicht als solches gekennzeichnet ist), inklusive der klassischen Kunstmedien. Die werden zu einer freundlich-unterhaltsamen Gesamtprovokation verschmolzen, die wie Banksys Kunst oft, leise und en passant im Nachhinein beweist, dass man mit Kunst evtl. doch ein wenig die Welt verändern kann und sei es dadurch, dass man geschätzte 7 Millionen Pfund am Umsatz in ein Provinznest bläst, das sonst von Tristesse und Leerstand geprägt ist. Verfolgt man die Leserbriefe in der Westoner Lokalzeitung The Mercury, wird klar, dass Dismaland ganz konkrete Kritik am der Lokalpolitik ist, die sich auf das Ausführen von Oben diktierter sozialer Kürzungen beschränkt.

Man kann in Dismaland Werkzeug (für 6 Pfund) erwerben, mit dem man Buswerbeflächen aufsperren und verändern kann, durch einen Crash-Kurs angeleitet. Es gibt integrierte Stände „echter“ Politaktivisten und gar einen Wohnwagen voll mit Büchern, in dem man sich Zeit nehmen und in gemütlicher Atmosphäre lesen kann. Wie bei Banksys früher Street Art, bei der selten eine Do-it-yourself-Anleitung fehlte, wie man Schablonen illegal sprüht, ist Banksys Ziel, kleine Veränderungen zu bewirken, die Betrachterrolle zu verlassen, selbst politisch, „artivistisch“ tätig zu werden oder eigene zumindest überkommene Wahrnehmungsmuster sich bewusst zu machen und evtl. zu ändern. Das erreicht er, in dem er Betrachter aller Alterstufen, Geldbeutel und Bilddungstände gleichermaßen versucht anzusprechen, ohne dies herablassend oder gönnerhaft-bevormundend zu tun. Stattdessen verwendet er Humor und kleine Schocks.

Dismaland schloss am 27.9.15 seine Tore, nachdem ca 150.000 Menschen dieses Spektakel besuchten. In den 5 Wochen Laufzeit war die show stets ausverkauft. Das Baumaterial geht übrigens mit dem Ende der Schau nach Calais, wo es zum Bau von Flüchtlingsunterkünften verwendet wird. Damit macht Banksy selbst den Abbau seiner Ausstellung zum politischen Statement gegen die britische Regierung und ihre Haltung zur Flüchtlingsfrage.

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