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Die Sammlung Gurlitt: ein Kunsthistoriker packt (sie) aus und wieder ein

Gastkommentar von Wolfgang Kemp

 

Als die ersten Nachrichten in Sachen Kunstsammlung Gurlitt zu uns gelangten, lösten sie einen kleinen Schock aus. Sie wurden mit einer  Bildstrecke begleitet, die gleich in zweierlei Hinsicht schwach war: als Reproduktion und als Qualitätsnachweis. Die Staatanwaltschaft Augsburg hatte sie als Belege für den „spektakulären Kunstfund“ zusammengestellt und bei einer Pressekonferenz an die Wand projiziert. Es war ein Sammelsurium ziemlich misslungener Werke mit Schwergewicht auf Deutschem Expressionismus. Die erste Assoziation war Ebay.

Doch gab es da auch diesen Liebermann. Das war der Teaser. Er wurde quasi zum gemalten Hashtag der ganzen Geschichte. Er half aber nicht unbedingt, die Bedeutung des angeblichen „Jahrhundertfundes“ zu unterstreichen. Liebermann hatte dieses Motiv „einfach drauf“ – früher hätte man gesagt: er hat es „aus der Lameng“ gemalt: mal ein Reiter, stehend oder galoppierend, mal zwei Reiter, zwei Männer oder Mann und Frau, mal düsterer, mal heller Himmel, mal das Ganze nach links, mal das Ganze nach rechts usw. Nicht von ungefähr hat die Deutsche Post eines dieser Bilder auf ihre 70 Cent-Briefmarke platziert. Also ein bewährtes Motiv und ein ikonisches Bild, aber kein Meisterwerk. Immerhin erzielte es 2, 6 Millionen Euro bei Sotheby’s. Hier fängt die Geschichte an, wirklich interessant zu werden – Betonung auf Geschichte und nicht auf Werk. Der Großneffe bekam überraschend ein Werk zugewiesen, das mit „größter Wahrscheinlichkeit“ (so die Taskforce) einmal einem Verwandten gehört hatte, und machte es sofort zu Geld. Er kassierte nicht nur den schönen Betrag, sondern auch den Mehrwert, der aus dem Skandal zu holen war - von Sotheby’s entsprechend vorbereitet. Das gleiche Motiv hatte wenige Jahre zuvor 336 Tausend Euro erzielt – man sieht, auch hier gilt: Story first, product second. Die neuen Besitzer haben ihren Gästen eine Menge zu erzählen.

 

Den allergrößten Rest  der Sammlung würde man allerdings nicht bei einer Abendauktion von Sotheby’s versteigern können. Die guten Stücke kämen bei einem Day Sale unter den Hammer. Da werden im Minutentakt Werke versteigert, die zu den Kategorien gehören: Nebenwerke bedeutender Künstler, Bilder von Malern  mittleren Rangs, unsichere Zuschreibungen, anonyme Werke, Schnäppchen. Ebay für Reiche und für arme Kenner könnte man sagen. Normalerweise kaufen da aber Händler für den russischen Markt und Ausstatter von Luxushotels.

III. Klasse

Mit diesem Bild als Aufmacher meldete die New York Times am 24. 11. 2014, dass das Kunstmuseum Bern die Übernahme der Sammlung Gurlitt akzeptiere. Das Aquarell, das sehr nach Leiter des Volkshochschulkurses „Wir malen in der Großstadt“ aussieht, stammt von dem Berufskünstler Bernhard Kretzschmar, der, falls das jemand vergessen haben sollte,  1959 den Nationalpreis III. Klasse der DDR für sein Gemälde „Blick auf Stalinstadt“ erhielt. In einer 3Sat-Sendung illustrierte das Blatt die „unermesslichen Kunstschätze“ in „Gurlitts Schatzkiste“. Die New York Times fügte dann noch ein zweites Werk hinzu. Sein Urheber heißt Wilhelm Lachnit – der Name wurde vom Verfasser nicht geändert.

Die Taskforce, die dem Verdacht Raubkunst nachgehen sollte, hat bisher nicht geliefert und ist deshalb Hohn und Spott ausgesetzt. Die Journalisten wollen ihr einfach nicht verzeihen, dass der massiv vorgetragene Anfangsverdacht Nazi-Kunstraub nicht sofort bestätigt wurde. Und dass die ersten Schätzungen auf 1 Milliarde ebenfalls noch nicht unterschrieben sind, das macht auch keine Laune. Man habe sich zweimal blamiert, meint ein hoher Kulturverwalter: zuerst das Versagen der forschen Augsburger Staatsanwaltschaft, dann die Ergebnislosigkeit der faulen Ermittler. Das ist höchst ungerecht, denn niemand und auch sie selbst nicht, sagt, womit die Taskforce es eigentlich zu tun hat. Mit über 1500 Glanzstücken, die man fix im Oeuvre-Katalog nachschlägt? Wer sich als Kunsthistoriker und nicht als Journalist dem Thema nähert und die ganze „backstory“ einfach mal außer Acht lässt, kommt zu einigen sehr ernüchternden Feststellungen. Woraus besteht diese Sammlung eigentlich? Die Antwort geben wir auf der Basis der kleineren Aufstellung bei Lostart.de und den beiden wohl vollständigen  Werklisten, welche das Museum in Bern ins Netz gestellt hat. Sie dokumentieren in einer sehr rohen und oft unvollständigen Form die Funde in München und in Salzburg. Und sie machen Zuschreibungen, die mit Sicherheit nicht im Einzelnen überprüft wurden.

Das erste Fazit lautet: Die Sammlung Gurlitt ist die Sammlung Gurlitt. Dem Urgroßvater Louis Gurlitt gehört das zweitgrößte Konvolut, 106 Nummern, Gemälde und Zeichnungen. Gurlitt ist ein typischer Vormittags-Auktionsfall, wenn auch vielleicht nicht gerade in London: ein Landschafter der Kopenhagener und Düsseldorfer Schule mit schönen, aber nicht unbedingt grundstürzenden Schöpfungen. Es lässt sich über die Qualität dieses Familiennachlasses schwer etwas sagen, da zu den Katalognummern aus verständlichen Gründen keine Abbildungen beigegeben sind – der Verdacht auf Beutekunst liegt nicht nahe. Aber der zukünftige Besitzer wird sich freuen dürfen, neben Altona, Kiel und Flensburg einen beachtlichen Gurlitt-Schwerpunkt sein eigen zu nennen. Die umfangreichste Werkgruppe wird Cornelia Gurlitt zugeschrieben: 133 Nummern. Hildebrand Gurlitt, der Vater des Cornelius, war Nachlassverwalter seiner Schwester, einer zu Unrecht wenig gewürdigten Malerin, die 1919 in den Freitod ging. Wenn der Wirbel um die Sammlung Gurlitt einen positiven Effekt hätte und nicht nur die Preise treiben würde, dann würde ich ihn in der Wiederentdeckung dieser Künstlerin sehen. Vielleicht kommt ja auch jemand auf die Idee und erzählt die Geschichte dieser ungemein nachhaltigen Familie, wie das zuletzt Tillmann Lahme mit der Familie Mann tat. Hier ist Cornelia zusammen mit ihrem Bruder zu sehen – beide waren Kinder des bedeutenden Kunsthistorikers Cornelius Gurlitt. Daneben eine Graphik, die aus der Erfahrung einer Krankenschwester in einem Lazarett an der Ostfront vermutlich 1917 entstand. (Siehe jetzt: Hubert Portz: Cornelia Gurlitt. sirdies kelione - Cornelia Gurlitt: the Journey of the Heart -Cornelia Gurlitt: Reise des Herzens, Landau 2015)

 

 

Die zweite Feststellung: Die Sammlung Gurlitt ist eine Sammlung auf dem Papier. Geschätzte 95 Prozent des „Kunstschatzes“ sind Graphiken, Handzeichnungen und Aquarelle. Das erklärt als erstes, wie diese 1500 Werke in den zwei Wohnungen Platz fanden: in Mappen eben, als Flachware. Und von diesen 95 Prozent dürfte weit mehr als die Hälfte Druckgraphik sein. Und hier sieht man sofort die Nöte der Taskforce. Wenn diese Graphiken nicht einen Sammlerstempel tragen, sind ihre früheren Besitzer so gut wie nicht ermittelbar. Und das gilt auch für die Handzeichnungen und Aquarelle. Gurlitt hat mehrheitlich Künstler vom Vater geerbt, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts arbeiteten und deren Werke vor 1933 nicht wissenschaftlich katalogisiert worden sind und auch nicht in den Kunstzeitschriften mit Hinweis auf den Besitzer publiziert wurden – wenn denn je eine Arbeit überhaupt in den Rang eines publizierten Werkes aufrückte. Was ich angesichts der Qualität des Durchschnitts bezweifele.

Den deutschen Expressionisten, deren Papier-Arbeiten den größten Werkblock des Nachlasses bilden, muss man leider den Vorwurf machen, dass sie jede Menge mindere Arbeiten abgeliefert haben – vor allem, als ihre Zeit vorbei war und sie unbeirrbar ihre Masche weiterstrickten. Diese Kunstrichtung gehört seit längerem zu den heikelsten Marktsegmenten überhaupt. Aber auch Otto Dix: wenn man so eine Kollektion wie die Gurlittsche durchschaut, die nur ein großer Name zusammenhält - Kunsthandel muss ein ziemlich deprimierendes Geschäft sein, aber deswegen ist ja vielleicht auch der Antrieb gegeben, das Zeug wieder loszuwerden. Das Interesse an dieser Sammlung, das die Kunstgeschichte an ihr entwickeln könnte, vorausgesetzt sie tritt aus dem Medusenblick Kunstraub heraus, ist ein historisches und typologisches. An ihrem pompejanisch stillgestellten Zustand können wir studieren, was eine Händler-Sammlung ausmacht. Eine solche Sammlung wird akkumuliert und akkumuliert sich, Vorlieben, Geschäftsstrategie und Zufall arbeiten zusammen und gegeneinander - was am Schluss übrig bleibt, trägt erratische Züge. Namen kommen zuerst - und danach eigentlich nichts mehr. Auffällig ist, dass so etwas wie ein Konzept fehlt und dass eine Leidenschaft für bestimmte Themen, Techniken oder auch nur das Streben nach möglicher Vollständigkeit nicht erkennbar sind. Man merkt schnell, dass graphische  Zyklen oft Fragment blieben oder aus ihnen herausverkauft wurde.  Der Sammlungsschwerpunkt, rein nach Zahlen beurteilt,  ist wie gesagt deutsche Kunst vor 1933. Daneben gibt es eine beträchtliche Kumulation von französischen Werken des 19. Jahrhunderts. Man fragt sich, ob Vater Gurlitt hier auch ästhetisch engagiert war oder ob das nicht schlicht die Überbleibsel seines letzten großen Händlereinsatzes im besetzten Frankreich waren. Da Deutscher Expressionismus nicht mehr ging, versorgte er deutsche Museen und Privatsammler mit französischer Ware, die ihm der Pariser Händler Theo Hermsen vermittelte. Und da blieb eben das Eine oder Andere hängen: einige kleine Bilder, aber auch ein Konvolut mit Zeichnungen Rodins und 62 Graphiken Daumiers. Auf dem Gebiet der deutschen Kunst fallen Unregelmäßigkeiten auf, die schwer zu erklären sind. Gehörte dem weniger bekannten und sicher auch nicht „hochpreisigen“ Rudolf Großmann, einem Kleinmeister der angewandten, flotten Moderne, eine spezielle Neigung: mit 82 Blättern rangiert er gleich hinter dem Ahnen Gurlitt? Oder hatte Gurlitt irgendwo ein Konvolut mitgenommen?  Ohne Genaueres zu wissen, würde ich die 79 Liebermann-Nummern für ein typisches En-Bloc gekauftes Sortiment ansehen: sehr ungleiches Material. Hier zwei Blätter, die als Faustskizzen zum Hamburger „Uhlenhorster Fährhaus“ entstanden - sie werden ihr Standing in der Geschichte der Handzeichnung hart erkämpfen müssen.  

 

Es fällt auf, wie schwach Max Beckmann vertreten ist: 13 Graphiken (vgl. Nolde 50, Grosz 47). Mochte Gurlitt père Beckmann nicht? Das ist nicht wahrscheinlich, sonst hätte er den Künstler nicht 1943 in Amsterdam besucht und wohl auch Ankäufe getätigt. Also ist der klägliche Rest Ergebnis eines guten Abverkaufs? Das einzig wirklich bedeutende Werk der Sammlung war ja der Beckmann, den Gurlitt fils,  kurz bevor der „Schwabinger Kunstskandal“ ausbrach, in Köln für 720.000 Euro versteigern ließ.  Übrigens auch kein Gemälde, sondern eine Gouache.

Die vier Werke, deren Provenienz bisher ermittelt wurde, darunter drei Gemälde, belegen ihre Zugehörigkeit zu einer Händlersammlung. Vom „ikonischen“ Liebermann sprachen wir schon, als nächstes wurde ein banaler, aber gut erkennbarer Matisse restituiert, und dann kam ein Pissaro – ein Pissaro! raunten die Blätter. Das Gemälde entstand 1902, da war der Maler 72 und malte immer noch Stadtlandschaften wie vierzig Jahre zuvor und hatte bei seinem Tod ein Jahr später fast so viele Werke im Atelier wie Gurlitt in seinen beiden Wohnungen. "Eine reizende Zeichnung", meinte die Dame über die kleine Spitzweg-Zeichnung, die ihr als Familienbesitz restituiert wurde. Und Ähnliches könnte man auch über den späten Monet (1903) und den kleinen Manet sagen, die in Salzburg auftauchten: Kabinett-Stücke eben, wenn echt, dann Träger eines großen Namens, aber keine großen Werke. Material, das ein Händler „vorhält“, ohne allzu großen Risiken einzugehen und auch den Käufer nicht zu überfordern. Das wäre im Grunde das vierte Charakteristikum: Die Sammlung Gurlitt ist die Sammlung Gurlitt. Die Sammlung Gurlitt ist eine Sammlung auf dem Papier. Die Sammlung Gurlitt ist eine Händlersammlung. Und: Die Sammlung Gurlitt ist eine Sammlung im Kleinformat.

In Hamburg existiert eine Sammlung, die so gut vergleichbar ist, weil sie ihre Schwerpunkte ebenfalls im französischen 19. Jahrhundert und in der Moderne vor 1933 hat und weil sie  aus Arbeiten auf Papier besteht. Ich würde sie als phänotypische Sammler-Sammlung oder Konzept-Sammlung bezeichnen: Immer wenn Teile  ausgestellt wurden, in Glückstadt z. B. und in der Kunsthalle Hamburg, war es sehr leicht, einen thematischen Nenner herzustellen, denn kunstgeschichtlich relevante Aspekte waren von Erika und Klaus Hegewisch gewissermaßen vorgesammelt worden bzw. wurden der Kunstgeschichte überhaupt erst als Aufgabe gestellt. Dass Zyklen vollständig vorhanden sind, dass auch das einzelne Künstler-Oeuvre auf ganz bestimmte Stärken und geheime Obsession hin gesammelt wurde, sei nur erwähnt, weil es im Kontext des Nachlasses Gurlitt nicht selbstverständlich ist. Freilich gibt es auch große Unterschiede, was die Qualität der Stücke anbelangt.

Sind die Highlights mit den vier restituierten Arbeiten schon erschöpft? Selbstverständlich kann man in einer solchen Fülle seine Entdeckungen machen. Es gibt einen Klee, ein Kandinsky (immer Arbeiten auf Papier) und einen Seurat, der hoffentlich echt ist. (Andere „Seurats“ werden als Reproduktionen/Lichtdrucke geführt.) Constantin Guys und Eugène Delacroix haben feine, kleine Bestände. Dann ist da ein Cézanne, der hoffentlich nicht echt ist, und eine repräsentative Auswahl aus Munchs Druckgraphik.  Und, last not least, heben wir die kleine Courbet-Gruppe hervor: zwei schwache Marinen, eine Winterlandschaft, eine kleine  Porträtstudie und dann – endlich! - ein Werk, das bereits vermisst wurde. Das hätte immer schon irritieren müssen: dass da eine angeblich bedeutende Sammlung auftaucht, nach deren Bestände aber bisher niemand eigentlich gesucht hatte. Jetzt kehrt Courbets Bild des „Apostels“ Jean Journet zurück, das auch dem Vater Gurlitt so viel bedeutet haben muss, dass er es dem Wiesbadener Collecting-Point als verbrannt meldete. Man wusste, dass das für Courbets politisches Programm so wichtige Bild  existierte, aber es lebte nur in einer graphischen Version weiter. Jetzt ist es wieder da, endlich mal kein Bild im Zwergenformat, und man würde so viel lieber über diesen kuriosen Titelhelden schreiben als die Meinungen und Fakten über diesen fatalen Nachlass nachkarten. (In der Umgebung des Uhlenhorster Fährhauses, in Gurlitts Geburtsstadt würde der Nachlass unter „angriebsche Waar“ laufen.)

 Korrekt ist, wenn man sagt, die Qualitätsfrage ist irrelevant, wenn es um unrechtmäßigen Besitz geht. Aber geforscht werden muss am richtigen Ort und mit verhältnismäßigem Aufwand. Die Provenienzforschung ist an den Haupttatorten, den Museen, anzusiedeln. Ob es Sinn macht und weiter Hoffnungen wecken darf, die nach dem oben Gesagten sich nicht erfüllen lassen, die Suche in Zukunft an ein eigens geschaffenes Magdeburger Zentrum für  Kulturgutverluste zu übertragen, muss sehr in Frage gestellt werden. Sollen also jetzt wirklich die ursprünglichen Besitzer von Nr. 081_20_a: „Griechisches Fruchtbarkeitssymbol“ oder von Nr. 083_24: „Glasdose mit Halbedelsteinen“ ausfindig gemacht werden? Family Heirloom? Unersetzbare Erinnerungsstücke? Nun, die Reaktionen der Restitutionsempfänger lassen andere Prioritäten erkennen.

„Gurlitt-Erbe bringt rote Zahlen“, titelte N-tv am 23. Mai 2015. „Eine Erbschaft ist nicht immer ein Grund zur Freude und macht auch nicht zwangsläufig reich. Diese Erfahrung muss jetzt das Kunstmuseum Bern mit der umstrittenen Kunstsammlung Gurlitt machen. Demnach hat das Kunstmuseum laut dem Jahresbericht 2014 für juristische und kunsthistorische Abklärungen rund ums Gurlitt-Erbe 830.207 Franken (rund 800.000 Euro) ausgegeben.“ Was diese hohen Kosten verursachte, ist nicht ganz klar, und ebenso wenig lässt sich sagen, ob das Haus auf seine Unkosten kommt, wenn es die Sammlung aufgenommen hat. Das Kunstmuseum wird zwischen fünf und zehn Werken einen Platz in der Dauerausstellung einräumen können, ohne seine Standards herunterzuschrauben,  und es wird eine schöne Erweiterung der Abteilung Graphik mit viel Spielmaterial verbuchen. Den Berner Kollegen muss man aber nicht sagen, dass in ihrem Beritt Privatsammlungen existieren, um die zu buhlen sehr viel mehr Gewinn brächte. Denen aber, die nun diesen Nachlass ausstellen wollen (Documenta 14) oder müssen (Bundeskunsthalle Bonn) sei ins noch nicht aufgelegte Besucherbuch geschrieben: Keine große Kunst, kein großer Raub, aber großes Kino – das ja.

 

 

Nachtrag vom 15.1.2016

Die Taskforce hat ihren Abschlussbericht vorgelegt. Die Presse ist schwer enttäuscht: vier Restitutionsfälle bei 500 untersuchten Kunstwerken und nur elf Nummern, deren Provenienz einwandfrei geklärt wurde , das ist ihr einfach zu wenig – gemessen am Anfangsverdacht Nazikunstraub. Die Presse kann und will sich einen der nahrhaftesten Knochen nicht nehmen lassen, jetzt wird an Vorwürfen gegen die Kommission und das ganze Verfahren weitergenagt. Man spricht von Zwischenbericht und setzt die Hoffnung in das neugeschaffene und mit sechs Millionen ausgestatteten Zentrum für Kulturverluste. Da wir bei Kosten sind: Den Aufwand von über 800.000 Euro, den das Berner Museum im Vorfeld der Übernahme der Sammlung Gurlitt ausgegeben hat, erscheint mir jetzt nicht mehr so ungewöhnlich hoch angesichts der 1, 9 Millionen Euro, welche die sieben Sitzungen des Expertengremiums kosteten: das war vielleicht keine ergebnis-, aber doch sehr speseneffektive Kommission.

In keinem der Zeitungsberichte wird auch nur ein Wort über den Sammlungsbestand verloren: 500 Kunstwerke, das ist alles. Und an diesem Pauschalismus ist auch das Gremium schuld: im Abschlussbericht ist ebenfalls nur von „Kunstwerken“ und „Objekten“ die Rede. Dass es einen Riesenunterschied macht, ob ich den Vorbesitzer eines Gemäldes oder einer Graphik aus einer Serie von hundert zu ermitteln habe, wird überhaupt nicht deutlich. Ich verstehe angesichts des 1, 9 Millionen-Etats aber besser, warum die Taskforce ihr mageres Ergebnis nicht mit einem Hinweis auf den Charakter ihrer Untersuchungsgegenstände begründet hat: 500 Kunstwerke, das klingt nach viel, nach viel Arbeit und verlangt nach der hohen Expertise von 13 Fachleuten. Dass sich in einer Sitzung und zwar per Federstrich die 239 Arbeiten von Louis und Cornelia Gurlitt als unverdächtig aussortieren ließen, muss man ja auch nicht jedem mitteilen. Den Vogel schoss freilich die Tagesschau ab, als sie am 14. 1. 2016 die Vorlage des Abschlussberichts meldete. Zur Illustration der illustren Sammlung zeigte sie das erste Bild, das je an die Öffentlichkeit gelangt war: dieses Mosaik-Bild, das wir oben eingestellt haben, dieses hilflose Sammelsurium von Werken zweiter und dritter Klasse. Es ist zum heulen: Auf der einen Seite stünde der Handel bereit, mit hohen Preisaufschlägen Gurlitt-Restitutionsware in Umlauf zu bringen – vorausgesetzt es gäbe noch solche -, auf der anderen Seite speisen uns Kommission  und Presse mit „Factsheets“ und bloßen Ziffern ab. Selten verdünnisierte sich die Qualität von Kunst so zwischen Marktwerten und  öffentlichen Zahlen.

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