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Die Online-Universität. Stand 2020

Sebastian Thrun müsste es eigentlich wissen. Er ist Informatiker, Experte für Künstliche Intelligenz und betreibt seit 2011 eine sogenannte Online-Akademie: Udacity. Welche Chancen stecken denn in solch einem Unterfangen, einem rein online vermittelten Lehrangebot? „Es geht bei Udacity nicht um Diskurs und freien Austausch von Gedanken. Da können die Unis nach wie vor einen größeren Beitrag leisten.“ (F.A.Z. v. 18.03.2020, S. N4)

Akademie ohne Diskurs? Münden Thruns Realisierungen teils kommerzieller Online-Kursangebote in blankem „Service“? Udacity: ein Service-Unternehmen? Populär wurde die digitale Universität ursprünglich durch frei für alle online zugängliche Lehrangebote, offen auch für Personen ohne Schulabschluss. Der Hit waren die 2011 startenden, von Thrun gemeinsam mit dem Stanforder Kollegen Peter Norvig abgehaltenen, frei für alle zugänglichen Kurse zur Künstlichen Intelligenz. Kostenfrei ist bei Udacity heute längst nicht mehr alles.

Diskurs und freier Austausch von Gedanken sind Nukleus der Tradition der Akademie nach abendländischem Vorbild. Der gegenseitige Austausch des Intellekts, ein Lehren und Lernen im Kreis anderer, in Zusammenkunft. Die Prinzipien Rede-Gegenrede, Frage-Antwort, Für-Wider leben in den Seminaren nicht zuletzt an deutschen Universitäten. Das Prinzip Frontalunterricht, das aus Lernenden, Studierenden (erstmal) passive Zuhörer (Konsumenten) und aus dem Lehrenden den starr übergeordneten Präzeptor (Advisor) werden lässt, ist jedoch wesentlich leichter in Online-Kurse übersetzbar. Elemente des Interaktiven, vor allem aber des Unvorhergesehenen, Ungeplanten, gar des Widerstands und der Kritik, des Spiels oder der (z.B. pädagogischen) Ironie sind komplizierter zu programmieren bzw. nicht programmierbar.

Der Diskurs und der freie Austausch der Gedanken seien gemäß Informatiker, KI-Experte und online-university Betreiber Thrun also „nach wie vor“ Domäne der regulären Universitäten. So weit, so gut. Nur: Wir sind in Zeiten der Pandemie. Also stellt sich die Frage: Wie? Was lässt sich online und digital transportieren, wie gedeihen Elemente von Interaktion, Kultur der Kritik, gar das Spielerische und Möglichkeiten, zu bilden und nicht nur anzuleiten/vorzustehen?

Die Kunstgeschichte zählte mit Lehrangeboten wie der Schule des Sehens zu den Vorreitern digitaler universitärer Lehrmodule. Zu Beginn des Jahrtausends, 2002, startete es. Diese alten Internetseiten zu durchblättern hat heute auch medienarchäologischen Charakter, schnell werden dabei die damaligen Rahmenbedingungen zu digitalen Lehrveranstaltungen/-modulen ersichtlich. Doch heute stellen sich unter völlig neuen technologischen Voraussetzungen all diese Fragen noch einmal neu. Und die Kunstgeschichte steht nun, am Beginn dieser pandemischen Krise, wirklich - so das Motto des nächsten Kunsthistorikertages - bei Formfragen. 

Eine Reihe selbsterklärter Info-Plattformen, nützliche Linksammlungen und verschiedene Foren des Austauschs zur Lage der digitalen Lehre sprießen seit ein paar Tagen, international vernetzt, aus dem Boden (alles online). Auf den Punkt gebracht hat den Stand der Lage gestern die Professorin Honor Sachs:

„Can we PLEASE stop calling what we are doing „ONLINE TEACHING“ already?

We are not „online teaching.“ Why? Because we would never teach online courses unless we knew how to teach online courses.

We are crisis-driven-global-pandemic-emergency-response teaching. Big difference.“

Das ist der Stand der digitalen, universitären Lehre 2020 zu Zeiten des Coronavirus. Was die rein, also zu 100% digitale Zusammenarbeit und den rein digitalen Austausch mit Arbeits-/Studienkollegen*innen betrifft, folgt hier abschließend diese getwitterte Bemerkung von Redakteur Jakob Rondthaler (@jakob_ron, Tweet vom 18.03.2020):

„Termine als TelKo sind kein Problem, aber wie kickert man remote?“

Lebendiges Zusammensein beinhaltet Möglichkeiten zu echtem Spiel, ohne Schwierigkeiten. Kickern unter Kollegen ist algorithmisch nachbildbar, aber digital nicht vollständig ersetzbar. Die vollständige Akademie geht eben auch in den Pausen zwischen den Veranstaltungen weiter und wird nicht abgeschaltet. Man atmet dieselbe Luft, weilt, lebt ein wenig untereinander.

Buchempfehlung: Johan Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Hamburg 1956





 

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