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Würzburg: ein kunsthistorischer Appell

Anders als die anhaltende Verehrung des Wunderkindes Mozart, hat die Wertschätzung der „Architektur der Wunderkinder“ vielerorts Rost angesetzt. Ein Paradebeispiel für die präkere Situation, in der sich Gebäude der Nachkriegszeit häufig immer noch befinden, ist die 1955-57 vom Stadtbaurat Rudolf Schlick errichtete Mozartschule unweit der Würzburger Residenz (1 u. 2). Der Bau gruppiert sich locker um drei Hauptriegel im Kern und ein gegenüber dem Niveau der von Balthasar Neumann angelegten Hofstraße erhöhtes Atrium mit Foyer zu einem fein abgestuften, plastischen Bauarrangement. Durch die Zurücknahme der Bautrakte von der Straßenflucht respektiert er seinen urbanen Kontext. Er drängt sich nicht auf, sondern schafft durch diagonal zur Baukante an der Maxstraße stehende Volumina eigenständige Räume (3). Aus diesem Gruppenbau spricht die Bescheidenheit und Maßstäblichkeit der Nachkriegsarchitektur, die noch nicht vom lauten Ton der späteren Wirtschaftswunderzeit oder vom Primat maximaler Flächenverwertung unserer Tage, bestimmt war (vgl. AK Denkmalschutz, "Rettet das Moz!".

 

Würzburg, Hofstraße, Mozartschule, Treppe (Photo Martin Höppl)Würzburg, Hofstraße, Mozartschule, Eingang (Photo Martin Höppl)

(1) Mozartschule, Hofstraße, Treppe (Photo von Martin Höppl)
(2) Eingangssituation (Photo von Martin Höppl)

 

Seit Jahren wird der Schulbau nicht mehr als solcher genutzt, sondern dient für kulturelle Umnutzungen, wie z. B. für ein Kino. Der Putz bröckelt, der Sanierungsrückstand ist unübersehbar. Die architektonischen Qualitäten des seit 1995 denkmalgeschützten Ensembles sperren sich gegen die Vorgaben wirtschaftlicher Verwertungsstrategien im Zusammenhang mit dem weiteren Ausbau der City zum Einzelhandelsstandort. Es verwundert kaum, dass der Abriss des ehemaligen Schulbaus geplant ist. Wie allenthalben, nicht nur in Würzburg, soll auch hier ein weiteres gesichtsloses Einkaufszentrum entstehen, das durch seine Massivität sogar den Weltkulturerbe-Status der nahegelegenen Residenz gefährdet. Freilich scheint dieses Argument, wie auch im Falle der Dresdner Waldschlößchenbrücke, oder der Mittelrheinbrücke zwischen St. Goar und St. Goarshausen u. a. Planungen, eher zweitrangig.

 

Würzburg, Maxstraße, Mozartschule (Photo Martin Höppl)

(3) Mozartschule, Maxstraße (Photo von Martin Höppl)

 

Die Kassen der meisten Kommunen sind leer. Daher spielen Fragen ästhetischer Angemessenheit meist eine nachgeordnete Rolle bei der Stadtgestaltung. Erst 2006/07 sorgte der Neubau der VR-Bank von „OPUS Architekten BDA Anke Mensing u. Andreas Sedler“ am Marktplatz gegenüber der spätgotischen Marienkapelle für heftige Diskussionen (4). Der mächtige Baukubus passt nicht so ganz zu den Proportionen der geschlossenen Bebauung des Marktes. Die Gestaltung und Möblierung der Platzfläche sowie auffällige, modernistische Markthallen (6) unterstützen den sterilen Eindruck des Parkgaragenplatzes zudem.

 

(4) Marktplatz, VR-Bank-Gebäude (Photo von Martin Höppl)
(5) Marktplatz, Markthallen (Photo von Martin Höppl)

 

Auch neu geschaffene Stellen, wie der Felix-Freudenberger-Platz, spiegeln die schwierigen Rahmenbedingungen kommunaler Gestaltungskonzepte (6 u.7). Wie vielerorts versucht man auch hier ein monotones Reststück zwischen den Autofahrbahnen als sogenannten „Platz mit gesteigerter Aufenthaltsqualität“ zu verkaufen. Leider handelt es sich dabei wie allzu oft lediglich um eine Worthülse, deren Sinn im Zusammenhang von Inwertsetzungsstrategien der marktwirtschaftlichen „Image City“ längst eskamotiert ist. Während die autoverkehrsfreie nördliche Mainpromenade als Publikumsmagnet fungiert, wirken die Parkbänke auf dem neu gestalteten Seitenstreifen südlich der alten Mainbrücke geradezu verloren. Die Ausgestaltung von Verkehrsplätzen stellt in unseren Tagen ein zunehmendes Problem dar. Auch beim Effnerplatz in München laufen gerade ähnliche Diskussionen (vgl. zu diesem Thema hier).

 

Würzburg, Mainkai, Felix-Freudenberger-Platz (Photo Martin Höppl)Würzburg, Mainkai, Felix-Freudenberger-Platz, Bautafel (Photo Martin Höppl)

(6) Mainkai, Felix-Freudenberger-Platz (Photo von Martin Höppl)
(7) Bautaufel am Felix-Freudenberger-Platz (Photo von Martin Höppl)

 

Zu allem Überdruss hat sich der Stadtrat nun auch noch für den Ausbau eines zentral an der Augustinerstraße gelegenen Hochhauses entschieden. Dieses „Maßlose Investorenprojekt“, wie es in einem Faltblatt der „Heiner Reitberger Stiftung zur Erhaltung und Pflege historischer Denkmäler und bedeutsamen Kulturgutes in Würzburg und Umgebung“ heißt, steht paradigmatisch für die Abkehr von der Wertschätzung einer historischen Stadtsilhouette. Das zu hohe und voluminöse Turmhaus wird in der Broschüre durchaus berechtigt als „dominanter Fremdkörper in der historischen Turm- und Dachlandschaft“ bezeichnet. Der Neubau wird sich vom Main aus betrachtet hinter der verhältnismäßig feinfühlig gruppierten Rückfassade des Einkaufszentrums Wöhrl – ein Positivbeispiel – markant gegen die historischen Kirchtürme abheben (8). Das modernistische Projekt geht zu Unkosten eines seit 1974 auf der Denkmalliste stehenden Baus der späten 1920er Jahre von Franz Kleinsteuber (vgl. das städt. Hochhaus in München von Hermann Leitenstorfer). Eine mögliche Sanierung wurde nicht ins Auge gefasst.

 

Würzburg, Ämterhochhaus u. Wöhrl (Photo Martin Höppl)

(8) Ämterhochhaus von der Alten Mainbrücke aus, im Vordergrund Wöhrl-Gebäude (Photo von Martin Höppl)

 

Am 25. März berichtete Kristina Maidt-Zinke im SZ-Feuilleton über die Gefährdung des siebengeschossigen „ersten ‚Wolkenkratzers’ Nordbayerns“, der ebenso wie das Leitenstorferhochhaus als Ämterbau errichtet wurde. Über Jahrzehnte hinweg wurde das Gebäude immer wieder umgebaut, um nicht zu sagen manipuliert und sabotiert. So gab es Änderungen am Walmdach, einen dunklen Anstrich und eine Mobilfunkanlage. Als sich 2004 ein Stein vom Kranzgesims löste, wurde das Haus eingerüstet. Die Würzburger taten sich schon immer schwer mit dem Bau, den sie als „Verschandelung“, als „Monstrum“ und als „hässlichen Klotz“ ansahen. Seine Wirkung wurde sogar als „Faustschlag eines Rohlings gegen ein edles Antlitz“ bezeichnet, wie Maidt-Zinke die Diskussion zusammenfasst in ihrem Artikel „Für ein Linsengericht. Verschachert Würzburg sein historisches Kapital zugunsten eines provinziellen Neubaus?“ Schon allein der Titel des geplanten Neubaus Tricyan Tower verspricht alles andere als Kontextbezogenheit. In der SZ heißt es weiter „von jenem angeberischen Plattenbaucharakter, mit dem die Provinz gern versucht, die „Tower“-Architektur der Metropolen nachzuahmen.“ (vgl. für solche Großprojekte hier).

 

Würzburg, Spiegelstraße, Neubau Brunowerk (Photo Martin Höppl)

(9) Spiegelstraße, Neubau des Brunowerks (Photo von Martin Höppl)

 

Es zeigt sich, dass auf Betreiben von Kommunen und privaten Investoren aufgrund des hohen finanziellen Verwertungsdrucks in den Innenstädten immer häufiger der Denkmalschutz ausgehebelt wird. Man denke etwa an die gefährdeten Kutscherhäuschen  (10) in München-Untergiesing (vgl. die Initative „Rettet die Birkenau“) und zahlreiche andere Beispiele. Insbesondere der Ensembleschutz wird dabei in Frage gestellt. Selbst das kirchliche Brunowerk verwirklicht in Würzburg mittlerweile Bauprojekte, die die Berücksichtigung des urbanen Kontextes gegenüber kommerziellen Gesichtspunkten hintenan stellen (9).

 

München, Birkenau, Kutscherhäuschen (Photo von Martin Höppl)

(10) München, Untergiesing, Birkenau, Kutscherhäuschen (Photo von Martin Höppl)

 

Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass bei einer so weitgehend zerstörten Altstadt wie Würzburg die Stadtplanung seit dem Wiederaufbau zwischen Neuanfang und Rekonstruktion vor außergewöhnliche Aufgaben gestellt war. In der Sektion „Stadtbaukunst. Zerstörung und Wiederaufbau auf dem Kunsthistorikertag zum Thema "Genius Loci" Ende März wurde ausführlich über die schwierigen Bedingungen und begrenzten Möglichkeiten damaliger Planungen gesprochen. Insbesondere die Schöpfungen der Wirtschaftswunderzeit wurden überaus kontrovers diskutiert. Während manche von „Barbarei“ sprachen, riefen andere zur Revision von Bewertungsmaßstäben auf. Ein Ergebnis der Sektion sowie der Mitgliederversammlung des „Verbands Deutscher Kunsthistoriker e.V.“ ist die „Resolution zum Erhalt der Würzburger Mozartschule“, in der die städtischen Verantwortlichen eindringlich zum Erhalt der „organischen Architektur“, die keinesfalls einer „nicht angemessenen Großstadtstruktur geopfert werden“ dürfe, aufgefordert werden. Vgl. für meinen ausführlichen Bericht vom Kunsthistorikertag hier.

Der SZ-Artikel von Maidt-Zinke schließt mit dem Appell an uns Kunsthistoriker: „Letzte Hoffnung der lokalen Denkmalschützer ist die Normenkontrollklage eines benachbarten Eigentümers, über die Ende Mai entschieden wird. Die Stadt könnte jetzt ein paar „Wutbürger“ gebrauchen. Zumindest aber einen Aufschrei der Fachwelt, von der sich ein Teil in diesen Tagen zum Kunsthistorikertag in Würzburg versammelt.“ Vielleicht kann auch dieser Post einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass der Appell der Resolution nicht ungehört verhallt.

 

Würzburg, Bahnhofsplatz, Pavillons (Poto von Martin Höppl)

(11) Bahnhofsplatz mit Pavillons vom Kiliansbrunnen aus (Photo von Martin Höppl)

 

Einzelbauten berühmter Nachkriegsarchiteken, wie etwa Sep Ruf, sind mittlerweile gut geschützt und saniert. Weniger prominente Beispiele hingegen fristen oft ein Schattendasein. In Würzburg scheint man sich offensichtlich gerade der Lösungen der ersten Nachkriegsjahrzehnte gerne entledigen zu wollen. So ist von Seiten der Stadt ein Abriss der rahmenden Pavillons am Bahnhofsplatz/Kiliansplatz, die zeitgleich mit der Mozartschule errichtet wurden, angedacht. Die Kioske aus Stahl, Glas und Holz stammen bezeichnender Weise ebenfalls vom überregional wenig bekannten Baurat Schlick (11).

 

Es gilt wachsam zu bleiben, damit nicht, wie häufig geschehen, ein bewusst erzeugter Sanierungsstau und damit einhergehende Verwahrlosung von Gebäuden, deren radikale Sanierung oder ihren Abriss legitimieren können.

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