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"Die entfesselte Antike"

In Kooperation mit der Hamburger Kunsthalle zeigt das Kölner Wallraf-Richartz-Museum die als Kabinettausstellung arrangierte, illustrierte Rekonstruktion von Aby Warburgs 1905 vor Philologen und „Schulmännern“ gehaltenen wegweisenden Vortrag über ‚Dürer und die Antike’, wo er erstmals die „Pathosformel“ ins Gespräch bringt.

 

Die Tragweite ihrer Bedeutung, die sich insbesondere in den gezeigten Stichen „Tod des Orpheus“ von Dürer und Mantegna spiegelt, mag dem vorinformierten Besucher annähernd klar sein, doch fällt es mit zunehmenden zeitlichen Abstand wohl grundsätzlich jedem schwer, die Zäsur im Denken, die aus Warburgs ikonologischer Untersuchung resultierte, nachzuvollziehen. In der kargen, letztlich nur durch einen bereitliegenden

 

Aufsatzkatalog (M. Hurttig: Aby Warburg und die Geburt der Pathosformel, Köln o. J.) kommentierten, intimen Schau ist umso weniger für interessierte Laien erkennbar, dass noch um Jahrhundertwende des letzten Jahrhunderts das Nachleben von vorgeprägten antiken Ausdrucksformen bezweifelt wurde. Emotionen wie Angst, Freude oder Wut, als durch die Jahrhunderte fortlebende Elemente – nenne man sie (gemäß Nietzsche) dionysisch gegenüber den gemäßigten apollinischen –, verbargen sich also so lange unbemerkt in künstlerischen Interpretationen der frühen Neuzeit, bis Warburg sie entdeckte: im ‚Initialmotiv’ des sterbenden Orpheus eines Ferrareser Meisters, das dann Dürer und schließlich der Mantuaner rezipierten. Wie das?

 

Abb.: Albrecht Dürer (1471-1528), Der Tod des Orpheus [Detail], 1494, Kupferstich, Hamburger Kunsthalle

 

Die Erkenntnis hängt natürlich mit Warburgs Fragment gebliebenem Bilderatlas Mnemosyne zusammen. Genau in diesen Kontext wird seine Untersuchung zur Pathosformel durch Kopien seines unvollendeten Vergleichswerks in Köln zwar gestellt, aber seine Zuordnung bedarf eben jenes Vorwissens, ohne das Warburgs Leistung nicht annähernd transparent wird: „Eine Montage, die vom Betrachter fordert, die Beziehungen zwischen den Bildern – und zwischen ihm und den Bildern – selbst herzustellen. Und gerade dieser intensive Zusammenhang von Bildern mit der individuellen menschlichen Erkenntnisfähigkeit, letztlich mit der Vorstellung vom Individuum überhaupt“ destillierte der französische Kunstphilosoph Georges Didi Hubermann als die wichtigste Lektion Aby Warburgs heraus (vgl. Malte Völk).

 

Nun teilt sich allerdings weder diese in der Kölner Kabinettschau mit, noch der zweifellos wesentlichere Ansatz: der Einzug der Psychologie in die, im übrigen ja nicht nur kunstwissenschaftliche Wahrnehmung jener Zeit.

 

Wenngleich solche kunsthistorischen Kabinettstückchen in stillen Zonen großer Museen Fachleute affizieren – ganz so still müssten diese trotz der Komplexität des Themas nicht sein: in offensiverer An-Schaulichkeit und zurück genommener Kryptik könnten durchaus mehr Laien gerade in einer solchen Schule des Sehens an die ‚Erfindung’ (Entdeckung) menschlicher Emotionen in der Kunst der Renaissance, entsprungen aus dem Geiste der Antike.

 

Ach ja, Warburgs Bezug zu Köln ist übrigens ein anekdotischer. Als Student der Kunstgeschichte an der Bonner Universität besuchte der Hamburger die Rheinmetropole mehrfach zu Karnevalszeiten – 1887 übrigens als Schornsteinfeger verkleidet. Ihm wird nachgesagt, er habe die Atmosphäre wegen ihrer dionysischen Ausgelassenheit dort außerordentlich geschätzt...

 

Bis zum 28.5.

 

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