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Zerstörung von Kulturgut in Hamburg und München

Wieder einmal wendet sich eine Bürgerinitiative aus der Mitte der Gesellschaft – genauer gesagt aus Hamburg-Mitte – mit einem Hilferuf an die Öffentlichkeit. Auf der Seite sos-stpauli.de findet sich der erschütternde Bericht „Einsturz und illegaler (?) Abriss eines denkmalgeschützen Hauses“, der eine traurige Chronologie der Geschehnisse liefert, wie es dazu kommen konnte, dass ein Haus aus dem frühen 19. Jahrhundert, das in den 1880er Jahren umgebaut worden war, von heute auf morgen dem Erdboden gleich gemacht wurde, weil es Investoren und Architekten auf der einen Seite offensichtlich so wollten (vgl. die Verantwortlichen: Köhler & von Bargen), und weil Denkmalbehörde und Anwohnerproteste übergangen wurden (siehe die beiden Videos SOS St. Pauli - Beginn Illegaler Abriss von denkmalgeschütztem Haus in der Bernhard-Nocht-Straße und SOS St.Pauli - Kompletter Abriss denkmalgeschütztes Haus Bernhard Nocht Str. Hamburg am 18.2.2012). Der Abriss des Hauses in der Bernhard-Nocht Straße 85/87 am 17./18. Februar wird mittlerweile allgemein als illegal angesehen (vgl. den anschaulich bebilderten Artikel „Investoren zerstören das historische St. Pauli“). Dieser Fall wäre, so bedauerlich er auf den ersten Blick erscheint, nicht von größerer Relevanz für die Wissenschaftsgemeinde, wenn es sich nicht um einen beispielhaften Fall handeln würde, der auf grundlegende Fehlentwicklungen in den letzten Jahrzehnten hindeutete.

 

Spätestens seit 2008/09, als die Besetzung des Frappants (vgl. auch den Frappant-Blog) und die Proteste gegen die „Neue Mitte Altona“ (vgl. „Agentur für Ausgleich i.G.“) sowie die Hausbesetzungen im Gängeviertel durch Künstler (Bericht im Art-Magazin), die im Bau befindlichen Luxusquartiere der HafenCity und die großen „Gentrifidingsbums“-Demonstrationen (vgl. Recht auf Stadt) die Gemüter erhitzten, sind die Immobilienwirtschaft und die Kulturpolitik der Hansestadt kaum noch aus den Schlagzeilen gekommen. Seien es die Kostensteigerungen beim Bau der Elbphilharmonie (wie ich hier berichtet habe), Proteste gegen die Schließung der „Roten Flora“ im Schanzenviertel oder die Kürzungen im Kulturetat wegen klammer Kassen; die Kulturstadt Hamburg scheint nicht zur Ruhe zu kommen. Doch so auffällig diese Kumulation von Nachwehen des in den 1980er Jahren von Oberbürgermeister Klaus von Dohnanyi propagierten Leitbildes der „Marktwirtschaftlichen Stadt“ auch sind, sie sind nicht die Ausnahme: Hamburg ist kein Einzelfall.

 

Hamburg St. Pauli, Flash den Mob, gegen Gentrifidingsums, Plakat, Nov. 2009München, Puerto Giesing, Gentrifi-dingsbums, Workshop Stadtveredelung mit Andrej Holm, Sept. 2010

 

Auch München hat wegen der zahlreichen Luxusneubauten seit etwa zwei bis drei Jahren eine „Recht auf Stadt“-Bewegung (vgl. die Gentrifizierungsmap München) nach Hamburger und Berliner Vorbild (vgl. Christoph Twickel, Not In Our Name, Marke Hamburg! und Andrej Holms Gentrification Blog: beide Autoren haben populäre Klassiker zum Thema verfasst). Im letzten Jahr wurden auf den Facebookseiten des bürgerschaftlich engagierten Münchner Forums (s. a. STADTfragen) sowie durch die Initiative „Unser Viertel“ zahlreiche Skandale und Skandälchen rund um Immobilieninvestoren publik gemacht. In Untergiesing sammelten sich die ersten Anti-Gentrifizierungsaktivisten und schließlich bekam auch München seine spektakulären Abrisse (vgl. auch hier). Zu nennen ist etwa die Kultkneipe Schwabinger 7 an der Münchner Freiheit, die trotz Protesten einem Wohnungsbauprojekt weichen musste. Zudem sorgten Zwischennutzungen wie das Puerto Giesing für Furore (vgl. aktuell das Art Babel am Norkauer Platz), die bewusst in Abrisshäuser gingen. Zwischennutzungen, wie sie insbesondere aus Berlin schon länger bekannt sind, wurden auch in München zu angesagten Treffpunkten (vgl. z. B. das Provisorium in der Lindwurmstraße).

 

München, Schwabinger 7, Baulücke, April 2012München Giesing, ehem. Hertiegebäude an der Tegernseer Landstraße, Puerto Giesing, Baulücke, April 2012

 

Am ehesten mit dem Abriss in St. Pauli vergleichbar ist der Fall, der Untergiesinger Birkenau (vgl. die Bürgerinitiative „Rettet die Birkenau“, über die ich bereits hier berichtet habe, sowie den Artikel „Birkenau: jetzt wird abgerissen“). Dort wurde im vergangenen Jahr auf Druck von Investoren der Denkmalschutz sogenannter Kutscherhäuser aus der Biedermeierzeit aufgehoben. Das erste Haus musste schon vor einigen Monaten der Abrissbirne weichen. Die neue Bebauung gestaltet sich wesentlich massiver als die vormals so malerischen, kleinen, einstöckigen Häuschen. Die Flächennutzung wurde optimiert, Traufhöhen voll ausgeschöpft und Hinterhöfe bis zur Baulinie ausgereizt. An dieser Stelle, so hat man den Eindruck, heißt das Motto: Geld statt Geschichte.

 

München Birkenau, Kutscherhäuser vor dem AbrissMünchen Birkenau, abgerissenes Haus, Nov. 2011

 

Allerorten werden vormals denkmalgeschützte Gebäude und Ensembles von den Listen gestrichen und damit zum Abschuss freigegeben oder sogar illegal abgerissen (vgl. zu diesem Thema meinen Beitrag „Würzburg: Ein kunsthistorischer Appell“). Die Aufhebung des Denkmalschutzes erfolgt nicht, weil sich an der sachlichen Einschätzung ihres Status etwas geändert hätte, sondern vielmehr, weil unsere Gesellschaft häufig marktwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten folgt - in diesem Fall dem immobilienwirtschaftlichen Verwertungsdruck. Zumindest kann man wohl sagen, dass gewisse Abläufe von einzelnen Wenigen dominiert wird, die wirtschaftliche Aspekte über Gebühr in den Vordergrund rücken. Im letzten Heft der „BDA-Informationen“ befasst sich Erwien Wachter in seinem Aufsatz „Marktschreier Architektur. Über Anstand und Zurückhaltung – das Laute und das Leise in der Baukunst“ mit den marktwirtschaftlichen Zusammenhängen der Gegenwartsarchitektur. Er zeigt die Schattenseite der Spektakelarchitektur auf. Unscheinbare Häuser aus dem 19. Jahrhundert haben oftmals keine Lobby – dafür sind sie zu wenig marktschreierisch: „Mechanismen des Markts dienen als Humus, in dem Architektenstars operieren, die sich jedweder gesellschaftlicher, ja sogar oft bauherrschaftlicher Kontrolle entziehen.“ Haben Kunsthistoriker und Denkmalpfleger heute keinerlei Kontrolle mehr über die Eingriffe des Marktes? Sind sie vielleicht zu abhängig von den Drittmitteln aus der Wirtschaft, um machtvoll einzuschreiten?

 

In den meisten Städten erfolgen Abrisse eher unbemerkt und am Rande. Nicht jede Stadt hat ihr Stuttgart 21. Wenigstens wird in den meisten Fällen, wenn es um zentrale, symbolträchtige Bauwerke, wie die Münchner Kongresshalle German Bestelmeyers (1928-35) geht, zumindest etwas diskutiert. Auch hier war der Ruf laut geworden, dass es für den neuen Konzertsaal nur ein spektakulärer Akzent eines Stararchitekten sein könne (vgl. den Post „Mein Gott, Stararchitekten!“ auf dem „Baumeister“-Architektur-Blog sowie meinen Artikel zum Thema). Ein ähnlich spektakulärer Fall ist der Münchner Hauptbahnhof, der seit vielen Jahren (vgl. München 21, Transrapid, Fahrradparkplätze etc.) Gegenstand von Umbauplänen ist. Neben einem Seitenflügel des Bahnhofs ist auch die Zukunft des geschwungenen Vordachs sowie eines Reliefs von Rupprecht Geiger ungewiss (vgl. den Bericht der SZ).

 

Wären an den Stadträndern bzw. dem Rand der öffentlichen Wahrnehmung auch juristische Neuregelungen, wie die Erweiterung von Erhaltungssatzungsgebieten, ein Verbot der Umwandlung in Eigentumswohnungen und die rechtliche Stärkung von Wohnungsbaugenossenschaften und Mietervereinigungen wünschenswert, so bedarf es bei den zentralen Großprojekten öffentlicher Diskussionen, an denen sich auch Architekturhistoriker wieder verstärkt beteiligen sollten. Denn häufig kommen die bürgerschaftlichen Proteste zu spät, nachdem die Pläne vorab, am Rande und von der Öffentlichkeit unbemerkt publiziert wurden.

 

Freilich gibt es zahlreiche Interessengruppen und Investoren, denen der Denkmalschutz wenig am Herzen liegt, oder die ihn sich einfach nicht leisten können. Im Internet finden sich zahlreiche Foren, in denen man die entsprechenden Voraussetzungen für den Abriss denkmalgeschützter Gebäude erfragen kann (vgl. „Denkmalschutz: Voraussetzung für den Abriss eines denkmalgeschützten Hauses“, „Abriss trotz Denkmalschutz“, „Abriß eines denkmalgeschützten Gebäudes“ u.v.m.). Der Staat hat einfach viel zu wenig Geld, um die angemessene Erhaltung der Objekte sicherzustellen, und vielen Hausbesitzern und Investoren fehlt sowohl das Geld als auch das entsprechende Bewusstsein.

 

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