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Feuilleton oder Kunstmarkt? Der neue Michelangelo für 2015

Offenbar aufgrund einer massiven PR-Kampagne des Fitzwilliam Museums in Cambridge verbreitet sich am 2. Februar die Nachricht von einem neuen Michelangelo wie ein Lauffeuer durch die Medien. In der Tat handelt es sich nicht nur um einen, sondern um zwei neue ‚Michelangelos’, um zwei sehr ähnliche, ja fast spiegelbildliche Bronzestatuen, jeweils fast ein Meter hoch, von nackten Männern, die auf Pantern reiten. Die zwei Werke sind seit dem neunzehnten Jahrhundert bekannt. Bode hat sie in seinen Bronzestatuetten  Jacopo Sansovino zugeschrieben. Weihrauch hat sie auch in seinen Europäische Bronzestatuetten (1967) abgebildet. Am 3. Februar hat Gina Thomas aus London in der Printausgabe der Frankfurter Allgemeine Zeitung über den neuen Fund berichtet: „Spektakuläre Neuzuschreibung: Zwei Fäuste für Michelangelo“ (FAZ, 3.02.2015; online: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/neuzuschreibung-zwei-faeuste-fuer-michelangelo-13404987.html ).

„Die unsignierten Figuren, die 2002 bei Sotheby’s [London] einem britischen Sammler für 1,65 Millionen Pfund zugeschlagen wurden, sind der Kunstgeschichte seit 1878 bekannt, als sie in der Pariser Weltausstellung als Werke Michelangelos ausgestellt wurden.“

Kurz nach 2002 wurden die zwei Bronzen an Wilhelm van Tetrode zugeschrieben (Fritz Scholten, W. van Tetrode, Amsterdam, Rijksmuseum, 2003). In der großen Londoner Ausstellung „Bronzes“ an der Royal Academy im Jahre 2012 wurden sie als „Rom, um 1550“ gezeigt (Katalog, hrsg. von David Ekserdjian, Nr. 101). Die Datierung scheint richtig.

Die Zeitungen haben ihre Berichte meistens in den Feuilletons gedruckt, als eine Sensation für die Kunstgeschichte. Erst hat die Süddeutsche Zeitung vom 4. Februar 2015 (S. 4, „Meinung“) die Nachricht in einem Meinungsartikel gebracht, unter der Rubrik ‚KUNSTMARKT’: „Die vielen Meisterwerke des Michelangelo“, von Kia Vahland. „Diesmal werden ihm zwei kleine Bronzefiguren zugerechnet.“ „Sie gehören einem Sammler.“ Die Schriftstellerin und Kunsthistorikerin schreibt ferner: „Anstatt erst einmal das Urteil eines Fachkongresses abzuwarten, wandten sie sich mit ihrer Idee an die internationale Presse – in der Hoffnung, dass sich der durchsetzt, der am lautesten schreit.“

Laut Presseberichte sind die zwei Bronzen nicht mehr die 1,65 Millionen Pfund von 2002 wert, sondern 49 Millionen Pfund. Als Kunstwerke sind sie mittelbar oder unmittelbar auf dem Kunstmarkt. Bronzestatuetten sind als Sammlergattung immer sehr marktnahe gewesen. Die Süddeutsche hat die zwei Bronzen richtig eingeordnet: nicht unter Feuilleton sondern unter Kunstmarkt. Ihr Privatbesitzer ist auch im Kunsthandel aktiv. Daher wird die Ausstellung in Cambridge (bis 9. August) auch eine Verkaufsausstellung und der Fachkongress wird zur einer Werbeveranstaltung. Irgendwie bleibt die wissenschaftliche Objektivität auf der Strecke. Das Cambridge Projekt wird von einem sehr kleinen Gremium beraten: zwei Mitglieder sind Kunsthändler.

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