dahblog.arthistoricum.net

Schlaglicht: Schreibmeisterblätter

Nach dem Tod des Bamberger Sammlers und Privatgelehrten Joseph Heller (1798–1849) gelangten zahlreiche Mappen mit Graphiken in die ehemals Königliche Bibliothek (heute Staatsbibliothek Bamberg). In einer Mappe, die Caspar Schoen (Lebensdaten unbekannt) in den Inventaren der Heller‘schen Sammlung zunächst mit der Nummer XV, später im „Katalog 149“ als I P bezeichnet, befand sich eine beachtliche Anzahl von Blättern, bei denen Schrift nicht nur schmückendes Beiwerk ist, sondern selbst zur Kunst und zum Sammelobjekt wird. Der Bibliotheksdirektor Friedrich Leitschuh (1837–1898) hat die Blätter der Schönschreibkunst Ende des 19. Jahrhunderts als einheitliche Gruppe zusammengestellt. Doch erst unter Bernhard Schemmel (1940–) wurden sie schließlich in die Signaturengruppe I Qf überführt und 1987 katalogisiert.

Die Kunst des Schönschreibens hat eine lange Tradition. Schon im 16. Jahrhundert entstanden Lehrbücher, die zu verschiedenen Schriften anleiten sollten. Der Nürnberger Johann Neudörffer d. Ä. (1497–1563) gehörte zu den ersten deutschen Schreibmeistern, die Musterblätter mit Gebrauchs- und Zierschriften, Schmuckinitialen und Randornamenten entwarfen. Als Schreibmeister führte er eine private Schreibschule, wo Neudörffer seinen Schülern Grundkenntnisse im Schreiben, Lesen und Rechnen vermittelte. Die Vorlagenblätter dienten seinen Schülern als Muster, um verschiedene Gestaltungstechniken einzuüben, und konnten später als Buch gebunden.

Heller besaß in seiner Sammlung Schreibmusterbücher von Neudörffer (JH.Kalligr.f.6) und dessen Nachfolgern, die eindrucksvoll demonstrieren, wie die Schreiblehrer vor allem die Initialen und Versalien durch immer ausgreifendere Verzierungen allmählich von ihrer zweckmäßigen Lesbarkeit entbanden. Aus den doppelt, dreifach oder gar zehnfach gezogenen, sich kreuzenden oder ineinander verflochtenen Begleitstrichen entstand ornamentaler Zierrat, der sich – wie im Schreibmeisterbuch des Franz Joachim Brechtel (1554–1593) (JH.Msc.Art.88) – allmählich über die gesamten Seitenränder ausgebreitet hatte. Schließlich lösen sich die Randverzierungen vom Text und treten als rahmende Ornamente mit raffinierten Schnörkelfiguren in den Vordergrund. So versieht der Hersbrucker Schreib- und Rechenmeister Johann Muscat (1659–1711) in seiner „Vorschrifft Teutsch und Lateinischer Schrifften“ von 1692 die Seiten seines Buches mit Darstellungen verschiedener heimischer und exotischer Tiere, die er aus einer ununterbrochenen Linie entwirft (JH.Kalligr.f.5). Im Laufe des 17. Jahrhunderts entwickelte sich der Ornamentreichtum schließlich zu eigenständigen Bildmotiven, die scheinbar ohne abzusetzen in einem einzigen Zug nicht nur aufwendige Rahmungen, sondern auch menschliche Figuren, Tiere und allerlei andere Motive wiedergeben.

Einige Schreibmeister stellten ihr Können auch in Einzelblättern zur Schau. Heller erwarb zwei kalligraphische Federzeichnungen des Nürnberger Schreibmeisters Johann Christoph Albrecht (1710–1777), die Friedrich den Großen (1712–1786) zu Pferd zeigen (I Qf 1 und I Qf 2). Ihm gelingt es – nach druckgraphischen Vorlagen –, den preußischen Herrscher allein mit unterschiedlichen Federschwüngen, Schleifen und gezackten Linien darzustellen. Der Preis von einem Gulden und 12 Kreuzern, den Heller für jedes der beiden Blätter zahlte, ist auf der Rückseite vermerkt. Mit einem Gulden und 47 Kreuzern war das Federzugblatt des „Christus am Kreuz“ (I Qf 8), das der Würzburger Schreibmeister Joseph Anton Hess (1750–1805) 1797 auf Pergament angefertigt hat, etwas teurer. Weitaus weniger, lediglich 12 Kreuzer gab Heller für die einfachere kalligraphische Federzeichnung eines Orgelspielers (I Qf 24) aus, die Christian Widmann (1725–1788) zugeschrieben wird. Er war Organist am Benediktinerstift in Seitenstetten und übernahm dort 1766 die Leitung der Stiftsschule. Noch im selben Jahr stellt sich der Schullehrer als Musiker am Manual der Orgel dar und demonstriert seine Geschicklichkeit im Umgang mit der Feder.

Zu den Kuriositäten in Hellers Sammlung gehört ein Schreiben des Matthias Buchinger (1674–1739), der ohne Hände und Füße zur Welt kam und sich – ungeachtet eines Auftrittsverbots von 1708 – mit der Bitte, seine Schreib- und Zeichenkünste, Karten- und Zaubertricks dennoch bei der kommenden Neujahrsmesse darbieten zu können, an den Rat der Stadt Nürnberg wandte (I Qf 5). Sein außergewöhnliches Talent bot der kleine Mann aus Ansbach nicht nur auf Märkten dar, er reiste an europäische Königshöfe, wo er zu erstaunlichem Ruhm gelangte.

Großen Ruhm bescheinigt auch der Theologiestudenten Christoph Heinrich Specht (Lebensdaten unbekannt) dem Diplomaten und Historiker Hieronymus Wilhelm Ebner von Eschenbach (1673–1752). Specht, der als junger Mann sicher die Schule eines Schreibmeisters besucht hat, wünscht dem Jubilar noch viele weitere Lebensjahre und schmückt seinen Gruß mit prächtiger Goldhöhung, üppiger Rahmung aus Zugwerk und kunstvollen Schnörkelfiguren (I Qf 21).

Neben kalligraphisch gestalteten Schreiben und Zeichnungen fanden auch Blätter mit winzig kleinen Schriftzügen Eingang in die Sammlung Hellers. Diese sogenannten Mikrographien stehen ebenfalls in der Tradition der Schreibmeister; bereits Neudörffer entwarf 1538 ein Labyrinth aus kleinen Versen, das er seinem Hauptwerk „Eine gute Ordnung“ beigegeben. Der Hersbrucker Schreibmeister Muscat, dessen Lehrbücher prächtige Schnörkelfiguren schmücken (s.o.), greift in einer Zeichnung auf geometrisch angeordnete Textblöcke zurück, um für die „sechs Hauptstücke der christlichen Lehre“ (I Qf 12) eine figurale Schriftfläche zu erschaffen. In einem anderen Blatt erfasst Muscat die Konturen und Binnenzeichnung des gekreuzigten Christi im Weinstock in mikrographischen Schriftzügen mit Texten der Passion. Darüber hinaus ist die Geschichte vom Leiden und Sterben Christi in der an kalligraphische Federzüge erinnernden Rahmung nachzulesen (I Qf 13).

Einen Höhepunkt erlangte das Spiel mit der Schrift um die Wende zum 18. Jahrhundert mit Porträt-Mikrographien, bei denen die Haare und Kleidung, mitunter auch der Bart und die Augenbrauen aus sehr kleinen, nur unter einer Lupe lesbaren Schriftzügen gestaltet sind. Besonders bedeutend war die Künstler-Familie Püchler, von der Heller neun Radierungen und zwei Zeichnungen besaß, darunter einen Probedruck des Bildnisses von Johann Georg III. von Sachsen (I Qf 20b), einen dritten Zustand des Porträts von Kaiser Joseph I. (I Qf 20a) und allein vier verschiedene Darstellungen Martin Luthers (I Qf 19a, I Qf 19b, II B 59a und II B 59b).

Die Schreibmeisterbücher und Einzelblätter aus der Sammlung Heller dokumentieren die Entwicklung der Schönschreibkunst in ihren vielfältigen Facetten und können hier nur in einer Auswahl vorgestellt werden. Heller konnte Werke aus vier Jahrhunderten zusammentragen, die über die hohe Kunst des Schreibens hinaus einen Einblick in den von Schreiblernbüchern und Schreibschulen inspirierten Gebrauch der Schönschrift erlauben, und nun auch online präsentiert werden.

Weiterführende Literatur in Auswahl

Bätschmann, Oskar (Bearb.): Schreibkunst. Schulkunst und Volkskunst in der deutsch-sprachigen Schweiz 1548–1980, Ausstellung des Kunstgewerbemuseum der Stadt Zürich, 13. Juni bis 30. August 1981 und Gutenberg-Museum Mainz, 15. September bis 25. Oktober 1981, Zürich 1981.

Linke, Oliver/ Sauer, Christine: Zierlich schreiben. Der Schreibmeister Johann Neudörffer d. Ä. und seine Nachfolger in Nürnberg, Nürnberg 2007.

Roth, Michael (Hrsg.): Schrift als Bild, Ausstellung des Kupferstichkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin, 29. Oktober 2010 bis 23. Januar 2011, Petersberg 2010.

Schemmel, Bernhard: Auserlesene Schrift-Bilder. Zu einer Sammlung von Schreibmeisterblättern der Staatsbibliothek Bamberg, in: Arnim, Manfred von (Hrsg.): Festschrift Otto Schäfer zum 75. Geburtstag am 29. Juni 1987, Stuttgart 1987, S. 131–161.

0 Kommentar(e)

Kommentar

Kontakt

Kommentar

Absenden

dahblog.arthistoricum.net und Arbeitskreis Digitale Kunstgeschichte

Die Digitale Kunstgeschichte bloggt ab sofort unter dahblog.arthistoricum.net.
Hier kommen Sie zurück zum Netzwerk des Arbeitskreis Digitale Kunstgeschichte.