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Albrecht Dürer Tattoo Art

Haut als Träger druckgrafischer Motive des Nürnberger Meisters nach oben

Dürer geht unter die Haut: Tätowierte und Tattoo Artists aus aller Welt folgten einem Aufruf des Museums Albrecht-Dürer-Haus  und reichten Fotografien, Geschichten und Anekdoten zu ihren Dürer-Tattoos ein. Vom 12. April bis zum 1. September 2024 sind diese Liebeserklärungen der besonderen Art zu sehen.1

Der Körper eines Menschen und die Verzierung desselben sind eine überaus persönliche Angelegenheit. Die Beweggründe für Körperschmuck und die Wahl des Motivs können ganz unterschiedlicher Art sein. Welcher genau? Das fragte das Museum und erhielt Antworten aus Brisbane, Tel Aviv, Charkiv, Rio de Janeiro, San Francisco, Montreal und direkt von nebenan, von heimatverbundenen Nürnbergern.

„Ich bin Nürnbergerin mit Leib und Seele und u.a. mit Christkindlesmarkt, 3 im Weggla und Albrecht Dürer aufgewachsen. […] Was läge da näher, als meinen Körper mit Dürer zu verschönern?“

beschreibt beispielsweise eine Tattoo-Trägerin ihre verbildlichte Liebeserklärung an Nürnberg.2

In über 300 Einsendungen beschrieben Tattoo-Enthusiasten ihre ganz individuellen Beziehungen zu Albrecht Dürer, seiner Heimatstadt Nürnberg, seinem Œuvre oder zum Medium der Druckgrafik. Insbesondere die große Ähnlichkeit in der Vorgehensweise beim Stechen eines Tattoos und druckgrafischen Techniken machen die Gegenüberstellungen von Vorbild und Adaption in der Ausstellung zu einer reizvollen Symbiose. Gleichsam wie der Kupferstecher oder Radierer Linien in die Druckplatte arbeitet und anschließend einfärbt, sticht die Tätowiernadel die Farbe in die Haut der Kundin oder des Kunden. Linie für Linie entsteht beide Male ein bleibendes Kunstwerk.
Diese enge und gleichzeitig intime Verbindung der beiden Techniken beschreibt der Kunsthistoriker und Druckgrafiker Alejandro M. Sanz Guillén, der sein Oberarm-Tattoo des Rhinocerus (1515) für die Ausstellung einreichte.3 Gestochen wurde es von dem spanischen Universalkünstler LeonKa4, der allen voran durch seine Schwarz-Gold-Kunstwerke in Galerien weltweit Berühmtheit erlangte.5

Vor seinem dreimonatigen Forschungsaufenthalt in Lissabon – dem Ort, an dem das erste Nashorn das europäische Festland erreichte – identifizierte sich Guillén als Fremder an einem neuen Ort mit ebendiesem und verewigte es auf seiner Haut. Das Rhinocerus, von Dürer nur nach Augenzeugenberichten verbildlicht, steht für Guillén stellvertretend für den globalen Wissenstranfer:

„As you may already know, this image became a real icon, a graphic representation that ended up almost surpassing reality and transforming it.”  

Bei den eingereichten Tattoos handelt es sich ebenso nicht um bloße Reproduktionen von Werken Dürers. Die Tattoo Artists schaffen medienübergreifend ihre ganz eigene Kunst – so wie Dürer mit seinem Holzschnitt Rhinocerus. Stile wie engraving, etching oder woodcut wurden in Anlehnung an die Druckgrafik für den Bildträger Haut adaptiert. Die eigene Handschrift des Tattoo Artists fließt klar in das ins Medium Tattoo übersetzte Motiv ein: Linien und Schatten werden reduziert, der menschliche Körper mit seinen Rundungen und Hautbeschaffenheit berücksichtigt, die Linienführung des Holzschnitts für die Tattoonadel angepasst.
Das virtuelle Forschungsnetzwerk duerer.online  wird in der Ausstellung die Schnittstelle zwischen Dürers Vorlagen und den Tattoo-Rezeptionen herstellen, indem QR-Codes auf die entsprechenden Originale verweisen.

Im Anschluss werden ausgewählte Dürer-Tattoos in einem digitalen Fotoarchiv  unter dem Titel der Ausstellung „Dürer under your skin: Tattoo art“ online zur nichtkommerziellen Weiternutzung bereitgestellt. Gemeinsam reihen sie sich in das umfangreiche und bis heute andauernde Dürer-Nachleben ein.

In der Ausstellung werden - neben dem gezeigten Oberarm mit Tattoo - Fotografien weiterer Körperteile, die als Bildträger zur künstlerisch-technischen wie persönlichen Verewigung dienten, zu sehen sein. Die Motive reichen vom Rhinocerus  (1515) über den Feldhasen (1502) und dem bildgewaltigen Zyklus der Apokalypse (1496–1498) bis zu weniger bekannten Werken Dürers.
Unerheblich, ob die Tattoos als spontane Urlaubserinnerungen, zur Verarbeitung persönlicher Schicksalsschläge oder sorgfältig geplante Kunst-Projekte entstanden sind: Die Ausstellung gibt allen Raum.
Eindrucksvoll zeigt sich dabei, dass das Gesamtwerk Dürers interdisziplinär und über Ländergrenzen hinweg längst ikonisch verstanden wird. Mit dem Sprung hinaus aus den klassischen Disziplinen der Kunstgeschichte hinein in die – längst nicht mehr als bloße Modeerscheinung zu verstehende – Szene der Körperkunst, bietet das Albrecht-Dürer-Haus eine Bühne, die keine Gattungs-, Generations- oder Milieugrenzen kennt.
Für Guillén steht fest:

„It's a piece of a tattoo project that I hope will grow, with artists as good as Leonka, specialized in tattoo engravings. That's why I thought it was also nice to start with one of the classic masters.“

Dürer under your skin: Tattoo art
12. April bis 01. September 2024
Nürnberg, Albrecht-Dürer-Haus
Weitere Infos, auch zum umfangreichen Rahmenprogramm,
finden Sie auf der Homepage des Museums.

1 Zur Ausstellung erscheint ein Katalog (deutsch/ englisch): Dürer under your skin. Tattoo art, Christine Demele (Hrsg.) mit einem Essay von Anna Lisa Schwartz, Petersberg 2024, vgl. Ausst.-Kat. Nürnberg 2024.

2 Statement von Sylvia Bader (Tattoo Trägerin/Wearer), Nürnberg (Germany).

3 Für das Projekt eingereichtes Foto und Statement von Alejandro M. Sanz Guillén (Tattoo-Träger/Wearer), Valencia (Spain).

4 Instagramaccount von LeonKa. www.instagram.com/leonka.art (Stand: 04.04.2024).

5 Art in Rug: LeonKa. artinrug.com/artist/leonka (Stand: 04.04.2024).

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